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F. Überblick über die Geschichte von 1815—1871.
I. Die Zeit von 1815—1848.
1. Deutschland. Für Deutschland folgte auf die schweren
Kämpfe der letzten Jahrzehnte eine langjährige Friedenszeit. Unter
dem Segen desselben blühte Landbau und Gewerbe, Eisenbahnen
(seit 1835) und Telegraphen gaben dem Verkehrsleben einen unge¬
ahnten Aufschwung. Die Kunst fand reiche Förderung, namentlich
bei dem König Ludwig I. von Bayern und dem geistreichen
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Auch die Wissenschaften
fanden glänzende Vertreter: In Berlin wirkten Männer, wie der
Naturforscher Alexander von Humboldt, der Geschichtschreiber
Leopold von Ranke, der Vater der Geographie Karl Ritter,
das unzertrennliche Brüderpaar Jakob und Wilhelm Grimm,
die großen Meister deutscher Sprachforschung. Mit größerem Ernst
wandte sich ein großer Teil des Volkes von dem Vernunftglauben
des vorigen Jahrhunderts ab und dem alten Glauben zu. Aber
mit den politischen Verhältnissen waren viele nicht zufrieden:
das eine deutsche Reich, das sie ersehnten, mußte doch anders aus¬
sehen als der deutsche Bund mit dem vielköpfigen Bundestag.
Immerhin wurde im Zollverein 1834 ein bedeutsamer Schritt
zur Einigung Deutschlands gethan. Und die Verfassungen, welche
auch dem Volk einen Anteil am Staatsleben geben sollten, wurden,
wohl in manchen der Kleinstaaten, aber weder in Österreich noch
in Preußen gegeben, hier auch nicht, als auf den schlichten, volks¬
beliebten Friedrich Wilhelm III. der sromme, geistreiche und beredte
Friedrich Wilhelm IV. (1840—1861) folgte.
2. Ausland. Doch blieb in Deutschland Ruhe, während im
übrigen Europa mancherlei Stürme ausbrachen: Spanien verlor der
Reihe nach alle seine Kolonien in Süd- und Nordamerika bis auf
Cuba (1810 — 1824); von Portugal trennte sich Brasilien, be¬
hielt aber einen Kaiser aus demselben Herrscherhause. Belgien
riß sich von dem Königreich der vereinigten Niederlande los. In
Frankreich mußte Karl X., der zweite Bruder Ludwigs XVI.,
der auf Ludwig XVIII. gefolgt war, 1830 vor der Julirevolution
weichen, worauf Louis Philipp, der Sohn des Herzogs von
Orleans, der in der Revolution als Philipp Egalite eine schmach¬
volle Rolle gespielt und zuletzt unter der Guillotine geendet hatte,
sich auf den unsichern Thron setzte (1830—1848). Die größte
Teilnahme fand in ganz Europa der griechische Aufstand (1821
bis 1829): trotz aller Anstrengungen wären die Griechen den Türken
erlegen, wenn nicht das Eingreifen der europäischen Mächte (1827
Sieg der russischen, englischen und ftanzösischen Flotte bei Nava-
rino) ihnen ihre Unabhängigkeit verschafft hätte.
Frohnmeyer, Leitfaden. H