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Herrn John wieder versuchen, und wenn ich den Mut dazu fände, ihn 
über den seltsamen grauen Mann befragen. — Wäre es mir nur so zu 
entkommen geglückt! 
Ich hatte mich schon wirklich durch den Rosenhain, den Hügel hinab, 
glücklich geschlichen, und befand mich auf einem freien Rasenplatze, als 
ich aus Furcht, außer den Wegen durchs Gras gehend, angetroffen zu 
werden, einen forschenden Blick um mich warf. — Wie erschrak ich, als 
ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zu kommen 
sah. Er nahm sogleich den Hut vor mir ab und verneigte sich so tief, 
als noch niemand vor mir getan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte 
mich anreden, und ich konnte, ohne grob zu sein, es nicht vermeiden. 
Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wieder und stand da in der 
Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich «sah ihn voller Furcht 
stier an und war wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber 
schien sehr verlegen zu sein; er hob den Blick nicht auf, verbeugte sich 
zu verschiedenen Malen, trat näher und redete mich an mit leiser, un¬ 
sicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden. 
„Möge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es 
wage, ihn so unbekannterweise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. 
Vergönnen sie gnädigst —" — „Aber um Gotteswillen, mein Herr!" brach 
ich in meiner Angst aus, „was kann ich für einen Mann tun, der —" Wir 
stutzten beide und wurden, wie mich deucht, rot. 
Er nahm nach einem Augenblick des Schweigens wieder das Wort: 
„Während der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, mich in Ihrer Nähe 
zu befinden, habe ich, mein Herr, einigemal — erlauben Sie, daß ich es 
Ihnen sage, — wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen, 
schönen Schatten betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam 
mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von 
sich werfen, den herrlichen Schatten da zu ihren Füßen. Verzeihen Sie 
mir die freilich kühne Zumutung. Sollten Sie sich wohl nicht abgeneigt 
finden, mir diesen Ihren Schatten zu überlassen?" 
Er schwieg, und mir ging’s wie ein Mühlrad im Kopfe herum. Was 
sollte ich aus dem seltsamen Antrag machen, mir meinen Schatten abzu¬ 
kaufen? — „Er muß verrückt sein," dachte ich, und mit verändertem 
Tone, der zu der Demut des seinigen besser paßte, erwiderte ich also: 
„Ei, ei! guter Freund, habt ihr denn nicht an euerm eignen Schatten 
genug? Das heiße ich mir einen Handel von einer ganz absonderlichen 
Sorte.“ Er fiel sogleich wieder ein: „Ich habe in meiner Tasche manches, 
was dem Herrn nicht ganz unwert scheinen möchte; für diesen unschätz¬ 
baren Schatten halte ich den höchsten Preis zu gering." 
Nun überlief es mich wieder kalt, da ich an die Tasche erinnert 
ward, und ich wußte nicht, wie ich ihn hatte „guter Freund" nennen können. 
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