Full text: Geschichte des preußischen Staates

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Herz die Keime zur Gottesfurcht, Frömmigkeit und strengen Pflicht¬ 
erfüllung. Auch an Ordnung und pünktlichen Gehorsam wurde der 
Prinz von Jugend auf gewöhnt. 
Der Kronprinz und feine Gemahlin legten großen Wert darauf, daß 
ihre Kinder mit allen Schichten des Volkes in Berührung kämen. Gern 
sahen sie es deshalb, wenn der Prinz mit Stadt- und Dorfkindern aus dem 
Turnplätze zusammenspielte. Auch Kinderfeste wurden veranstaltet, wo der 
Prinz mit andern Kindern um die Wette lief, gemeinsam mit ihnen turnte 
oder Soldat spielte. 
Als die Zeit des Lernens herannahte, wurde Prinz Wilhelrn 
tüchtigen Lehrern anvertraut. Diese hatten ihn, ohne auf seine hohe 
Stellung Rücksicht zu nehmen, strenge zu behandeln. „Seien Sie 
nur sehr strenge mit dem Knaben," sagte der Kronprinz zu einem 
seiner Lehrer, „er will etwas lernen und muß es lernen." Den ersten 
Unterricht erhielt der Prinz von einem ausgezeichneten Elementarlehrer. 
Als später fremde Sprachen und andere schwierige Fächer hinzukamen, 
übernahm die Leitung des gesamten Unterrichts Dr. Hinzpeter, dem 
der Prinz stets Liebe und Dankbarkeit im Herzen bewahrte, den er 
nach feiner Thronbesteigung wiederholt als Ratgeber an den kaiser¬ 
lichen Hof beries und durch Verleihung hoher Titel und Orden ehrte. 
Der gut begabte Prinz war außerordentlich fleißig und machte tüch¬ 
tige Fortschritte. In den Freistunden erlernte er auch ein Hand¬ 
werk; er wählte gleich seinem Vater die Buchbinderei. 
Im September 1874 fand die feierliche Konfirmation des Prin¬ 
zen statt. Bei dieser Gelegenheit sprach er unter andern folgende in¬ 
haltsschönen Worte: „Ich will in kindlichem Glauben Gott ergeben 
bleiben mein Leben lang. Ich glaube an Jesum Christum, meinen 
Heiland. Ihn, der mich zuerst geliebt, will ich wieder lieben und 
diese Liebe bethätigen durch die Liebe zu meinen Eltern, zu meinen 
teuern Großeltern, den Geschwistern, den Verwandten, aber auch zu 
allen Menschen." — „Ich weiß, schwere Aufgaben warten meiner, 
aber dies foll meinen Mut stählen und nicht niederdrücken." 
Der Prinz auf dem Gymnasium. Damit der Prinz in den 
wiffenfchaftlichen Lehrgegenständen noch weiter ausgebildet werde, zu¬ 
gleich aber auch innigere Fühlung mit den Söhnen aus anderen 
Stünden nähme, kam er nebst seinem Bruder Heinrich als Schüler auf 
das Gymnasium zu Kassel; er trat in die Obersekunda ein. Auf 
Wunsch seiner hohen Eltern durfte er dort keine bevorzugte Stellung 
einnehmen. Er wurde mit „Sie" und mit „Prinz Wilhelm" ange¬ 
redet, und kleine Dienste in der Klasse mußte er genau so wie die 
anderen Schüler verrichten. In seinem Wesen war der Prinz be¬ 
scheiden und anspruchslos, in seinem Benehmen gegen seine Mitschüler 
liebenswürdig und gefällig. Durch Fleiß, Ordnung und gutes Be¬ 
tragen wurde er bald der Liebling feiner Lehrer und Mitschüler. 
Nach drei Jahren bestand Prinz Wilhelm die Abgangsprüfung 
mit Auszeichnung; wegen seines gleichmäßigen und andauern-
	        
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