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S. 151.
Preußens Erhebung.
In Deutschland trug das Volk schon lange mit Entrüstung
die Schmach des Fremdjoches; aber die Fesseln, die der Macht-
Haber um seine Kraft gelegt hatte, waren 31t stark, als daß sie so
leicht hätten gesprengt werden können. Die Rheinbundfürsten
mußten als willenlose Vasallen dem fremden Gebieter folgen;
Oesterreich, das nochmals im Jahr 1809 sich so ruhmvoll gegen
den Bedrücker der Völker erhoben hatte, war durch die wieder-
holten Verluste an Ländern. und durch die Erschöpfung seiner
Finanzen geschwächt, und Preußen, das seit dem Tilsiter Frieden
mehr als die Hälfte seines Gebietes eingebüßt hatte und unter
den drückendsten Bedingungen schmachtete, war ringsum von den
französischen Heeren in Norddeutschland umstellt und belauert.
Und doch war es Preußen unter den deutschen Staaten, wel¬
ches auch in der Demüthignng Napoleon gegenüber seine Selb-
ständigkeit behauptete. Nach dem unglücklichen Kriege von 1806
giengen der König Friedrich Wilhelm III. und seine edle Ge-
mahlin, die Königin Luise, dem Volke als Beispiel in der Stand-
haftigkeit und Sorge für Preußens Ehre voran. Das Königs-
paar legte sich selbst alle Entsagungen auf, so lange das Volk
unter den unerschwinglichen Lasten darbte, die ihm von Napoleon
auferlegt worden waren. Ausgezeichnete Männer Übernahmelt die
Leitung der Geschäfte des Staates, um Preußeu, wenn auch an
Macht geschwächt, dtlrch innere Kraft zu stärken und zu verjüngen.
Der Minister Stein hat sich durch seine Reformen im Staate
einen ewig denkwürdigen, Namen in der Geschichte erworben. An
die Stelle der Standesvorrechte setzte er Gleichberechtigung aller
Staatsbürger, an die Stelle der ausschließlichen Beamtenherrschaft
eine größere Betheiligung aller Staatsangehörigen an den öffent-
lichen Angelegenheiten, so daß dieselben nicht mehr als die bloß Re¬
gierten im Staate erschienen, sondern die Einsicht verbreitet wttrde,
daß jeder Staatsbürger nach Maßgabe seiner Kraft an der Ge-
sammtheit des Staates arbeiten solle. Die Leibeigenschaft wnrde
ganz aufgehoben und die Gesetzgebung verbessert. Während so
Stein durch eine neue Staatseinrichtung dem Vaterlande innere
Kräftigung verschaffte, waren es Scharnhorst und Gneisen an,
welche das preußische Heer neu schufen. Die allgemeine Wehrpflicht
wurde eingeführt, und der freie Geist, welcher durch die Reformen
Steins im Volle genährt wurde, brachte auch neue Begeisterung
in die Armee, in welcher jeder Bürger seine Stelle hatte.