Full text: Lehrbuch der Alten Geschichte

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§ 35. Der Trojanische Sagenkreis. 
a) Odysseus in der Ferne. 
Zwanzig Jahre waren schon hingegangen, seitdem Odysseus von Jthaka 
geschieden. Noch immer hoffte Penelope auf die endliche Wiederkehr des geliebten 
Gemahls. Schon aber hatten sich in großer Zahl die Fürsten der Heimat und der 
umliegenden Inseln als unwillkommene Freier eingestellt und verpraßten schwelgend 
das Gut des abwesenden Gebieters. Dieser aber weilte fernab auf der Insel der 
Nymphe Kalypso, einer Tochter des Atlas. Gleich nach seinem Wegzuge von Troja 
war er von widrigem Ungemach verfolgt und aus grauenvollen Meeren und wüsten 
Eilanden drei Jahre lang umhergetrieben worden. Aus den Trümmern seines letzten 
Schiffes hatte er, allein von all seinen Gefährten übrig geblieben, die rettende Insel 
Ogygia erreicht, wo jene Nymphe lebte. Sieben lange Jahre ward er hier wider 
Willen von der gütigen Herrin zurückgehalten, welche ihn zu ihrem Gemahl erheben 
wollte und ihm als lockenden Preis ein unsterbliches Leben in ewiger Jugendfrische 
verhieß. 
Doch sein Sinn steht nach der Heimat, nach Weib und Kind und dem greisen 
Vater. „Nur den Rauch von Jthakas Hügeln möchte er nochmal sehen und dann 
sterben." Endlich erbarmen sich seiner die Himmlischen. In Abwesenheit Poseidons 
wird Hermes zur Nymphe entsandt mit dem Götterbefehle, den Gast zu entlassen. 
Athene eilt selbst gen Jthaka, auch hier kluge Anstalten zu treffen. Zunächst will 
sie Telernach den Nachstellungen der Freier entziehen und seinen Mut für größere 
Thaten stärken. Darum flößte sie dem Jüngling den Entschluß ein, nach Pylns und 
Sparta wegzureisen, um bei Nestor und Menelaus etwaige Kundschaft über den Vater 
einzuziehen. Sie begleitete ihn selber in der Gestalt Mentors, seines Erziehers. 
b) Ankunft des Odysseus bei den Phäakeu. 
Auf einem selbstgefertigten Floße, wozn ihm Kalypso, dem Auftrage der Götter 
gehorchend, das nötige Geräte an die Hand gegeben, war Odysseus hoffnungsfreudig 
wieder hinausgesegelt ins weite Meer. Nochmals erregte Poseidon, der eben 
wieder aus dem Äthiopierlande zurückgekehrt war, einen grimmen Sturm und zer¬ 
trümmerte ihm das schwanke Fahrzeug. Aber die Meergöttin Lenkothea reichte dem 
Schiffbrüchigen mitleidig ihren Schleier. Mit dessen Hilfe erreichte er nach zwei 
angstvollen Tagen und Nächten schwimmend die Küste eines Eilandes. Es war 
Scheria (etwa Korcyra), die Heimat der geselligen Phäakeu, eines gastfreundlichen 
Schiffervolkes. 
Am Ufer in Schlaf versunken, wurde der Gestrandete vom Spiele heiterer Mädchen 
geweckt, die unter Führung ihrer Herrin, der Königstochter Nausikäa, heraus- 
gekommen waren, die Wäsche zu besorgen. So hatte es Athene gefügt. Das ver¬ 
ständige Königskind reichte dem armen Fremdling Kleidung und Nahrung und wies 
ihn, nachdem sie ihn selber bis in die Nähe der Stadt geleitet, zur Wohnung ihres 
Vaters, des Königs Alcinöus, Dieser war eben mit den phäakischen Fürsten beim 
festlichen Mahle versammelt. Staunend betrat Odysseus den glänzenden Palast und 
warf sich schutzflehend der Königin Arete zu Füßen. Liebreich, wie es die heiligen 
Satzungen geboten, wurde der fremde Mann aufgenommen und ehrenvoll bewirtet. 
c) Die Erzählung seiner Irrfahrten. 
Anderen Tages hielten die Phäaken ihre üblichen Kampfspiele. Auch der un- 
bekannte Fremdling nahm daran teil und erregte die Bewunderung seiner Gast- 
freunde. Beim Abendschmause sang der blinde Sänger Demodökus „aus dem Liebe, 
dessen Ruhm damals den Himmel erreichte", und vom Hölzernen Roß, das der edle
	        
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