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Frieden sein weit ausgedehntes Reich zu kräftigen und im Jnneru
zu reformieren. Dem Ackerbau und der Industrie wurden durch
Verringerung der Armee viele Kräfte zugeführt. Eisenbahnen
wurden angelegt und Bildungsanstalten gegründet, Polen und die
Ostseeprovinzen mit Eifer russifiziert. Eine einschneidende Maßregel
war die Aufhebung der Leibeigenschaft, 1861. Im Jahre 1873 ging
der Zar an eine Militärreorganisation, und daran schloß sich eine
Steuerreform. Seit 1874 ist in Rußland die Partei der Nihilisten
(von nihil = nichts) tätig, deren Ziel der Umsturz alles Besteheudeu
ist. Ihren Attentaten fiel der Zar 1881 zum Opfer. Es folgte auf
thit fein Sohn Alexander III, der bis 1894 regierte. Unter feinem
Nachfolger Nikolaus II. dehnte sich das russische Reich immer weiter
nach Osten aus, stieß dabei aber auf den Widerspruch der Japaner,
infolgedessen 1904 ein Krieg ausbrach (S. 440).
b. Die Türkei. Das osmanifche Reich war durch die vielen
Kriege mit Österreich und Rußlaud seit dem Begiuue des 19. Jahr¬
hunderts so geschwächt, daß sein Verfall nur durch die Eifersucht der
Mächte aufgehalten wurde. Die Finanzen waren zerrüttet, das Ansehen
der Regierung sank immer mehr, uud die Einheit des Staates war
durch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Paschas erschüttert.
Der Sultan Abd ul Medschid (1839—1861) wurde nach
dem Krimkriege vou deu Westmächten veranlaßt, gründliche Reformen
vorzuuehmeu, namentlich die bürgerliche Gleichstellung aller Untertanen
und Religionsbekenntnisse zn proklamieren. Die Oberhoheit der Pforte
über die Vasallenstaaten wurde fast völlig ausgehoben. Es entstanden
anf der Balkanhalbinsel die beiden von der Türkei unabhängigen Staaten
Serbien und Rumänien.
Auf Abd ul Medschid folgte Abd ul Asis (1861- 1876), der
sich ausaugs von tüchtigen Staatsmännern leiten ließ, dann aber durch
siuulose Verschwendung den Staatsbankerott herbeiführte. Unter ihm
begannen die Aufstände der tributpflichtigen Völker. Im Jahre 1876
wurde der Sultan abgesetzt; nach einer kurzen Regierung Mnrads V.
folgte 1877 Abd nl Hamid II.
Bei der Zerrüttung der Türkei hat die Besorgnis um die zu¬
künftige Gestaltung der staatlichen Verhältnisse ans der Balkanhalbinsel
die übrigen Mächte wiederholt beunruhigt und die sog. „orientalische
Frage" wachgerufen. Rußland, das sich als den Erben des oströmischen
Kaiserreiches betrachtet, und die Haudelsinteressen der übrigen Mächte
stehen sich hierbei gegenüber.
Kriegerische Uuruheu auf der Balkanhalbiusel. Durch den
Drnck und die Grausamkeiten der türkischen Steuereinnehmer entstanden
in den nördlichen Teilen des türkischen Reiches Empörungen, die 1876
zu dem serbischen Kriege führten, aus dem sich infolge der Ein-
Mischung Rußlands 1877 der russisch-türkische Krieg entwickelte.