234
Die Lösung der deutschen Frage.
Standpunkt, daß sein Urteil in dieser Frage rein privater Natur sei, daß er als Haupt
des Hauses Hohenzollem und nicht als Staatsoberhaupt handle, wenn er dem Prinzen
seine Genehmigung zur Annahme der Krone erteile.
<!• In Frankreich rief die Nachricht von der Entscheidung des Prinzen Leopold,
die dem Minister des Äußern (Grammont) am 3. Juli von Spanien amtlich mitgeteilt
wurde, eine ungeheure Aufregung hervor. „Während die Zeitungen mit Insulten
gegen die Deutschen begannen, trug der Minister dem französischen Geschäftsträger
in Berlin, ohne weitere Nachrichten abzuwarten, auf, in der Wilhelmstraße Auf-
klärungen über die »Intrige«, über den »regettable incident«, zu verlangen. (Er
erhielt am 4. Juli von dem Stellvertreter des Bundeskanzlers — Bismarck war in
varzin — die Antwort, daß der preußischen Regierung die Sache völlig fremd sei,
und daß sie nichts von ihr wisse."
e. Trotzdem beantwortete der Herzog von Grammont am 6. Juli eine Inter¬
pellation in der französischen Kammer in einer Sprache, die eine unverhüllte
Kriegsdrohung bedeutete: „Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten
eines Nachbarvolkes uns verpflichtet, zu dulden, daß eine fremde Macht, indem sie
einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. fetzt, zu unserm Nachteile das gegen¬
wärtige Gleichgewicht der Kräfte in (Europa störe und die (Ehre Frankreichs in Gefahr
bringe. Dieser Fall, wir haben die feste Hoffnung, wird nicht eintreten, Wir zählen
auf die Weisheit des deutschen und auf die Freundschaft des spanischen Volkes. Im
andern Falle würden wir, stark durch Ihre Unterstützung und die der Nation, unsere
Pflicht ohne Zögern und ohne Schwäche zu erfüllen wissen." Die französische Presse
begleitete diese Kriegsdrohungen fast ausnahmslos mit lautem Beifall.
Am 7. Juli erhielt der französische Gesandte in Berlin (Benedetti) die Weisung,
nach (Ems zu reisen und König Wilhelm zur Zurückziehung der Thronkandi-
datur des Prinzen zu veranlassen. Benedetti bekam am 9. Juli vom Könige den
Bescheid, daß die preußische Regierung mit dieser Privatangelegenheit nichts
schaffen habe, daß es der König aber gern billigen würde, wenn Prinz Leopold und
fein Dater sich zum Rücktritt entschließen würden. Dem nach Paris abreisenden
preußischen Gesandten gab der König den Auftrag, Napoleon die friedliche Gesinnung
seines Monarchen zu bezeugen.
f. Als am \2. Juli Fürst Anton von Hohenzollern im Namen feines Sohnes
auf die spanische Krone verzichtete, schien aller Grund zu weiterer (Erregung
beseitigt zu sein; Frankreich durfte sich eines entschiedenen (Erfolges rühmen. Der
französische Ministerpräsident und Napoleon sprachen ihre Zufriedenheit über diese
Wendung aus, und König Wilhelm schrieb an seine Gemahlin: „Mir ist ein Stein
vom Herzen gefallen."
g. Aber die Kaiserin (Eugenie und die Bonapartisten wollten den Krieg.
In ihrem Sinne forderte Grammont von dem preußischen Gesandten (Werther), daß fein
König durch einen Brief an Napoleon die öffentliche Meinung Frankreichs beschwichtigen
solle; Benedetti aber erhielt den Auftrag, von König Wilhelm die Zusicherung zu
fordern, daß er diese Kandidatur nicht von neuem zulassen werde.
König Wilhelm wies die ihm zugedachte Demütigung mit vor¬
nehmer Höflichkeit zurück (am Morgen des j3. Juli auf der Promenade zu (Ems);
nach einer Beratung mit dem ihn begleitenden Beamten aus dem Ministerium des
Auswärtigen (Abeken) und dem Minister des Innern beschloß er, den zudringlichen
Gesandten nicht mehr persönlich zu empfangen. Am Nachmittage ließ er ihm durch
seinen Flügeladjutanten die ihm inzwischen zugegangene Nachricht von dem Rücktritte
des Prinzen Leopold übermitteln nnd gleichzeitig auf fei 11 abermaliges Gesuch um
eine Audienz die Antwort erteilen, daß er es ablehnen müsse, sich „in weitere Dis¬
kussionen einzulassen". Die ihm durch Werther mitgeteilte Zumutung versetzte ihn
„in helle (Empörung", schon vorher (gegen 3 Uhr) hatte er beschlossen, die jüngsten
Vorgänge der (Öffentlichkeit zu übergeben (wieweit Bismarck an diesem (Entschlüsse
beteiligt war, ist nicht sicher).