Full text: Neueste Geschichte von 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

242 Die Lösung der deutschen Frage. 
feudalen Hofpartei, die bei der Königin Olga, einer gebornen russischen Groß- 
sürstin, Unterstützung fand. Noch schwieriger lagen im Grunde die Verhältnisse 
in Bayern. Das regnum Bavariae, wie es noch im 10. Jahrhundert 
gelegentlich hieß, hat von jeher wegen der Größe und besonderen Lage des 
bayrischen Stammesgebietes eine besondere Rolle in der deutschen Geschichte 
gespielt und spielen wollen: es ist in seiner politischen Komplexion im Ver- 
hältnis zum deutschen Gesamtreich etwas wie eine kleinere und frühere Vor- 
bildung Österreichs, und ruhmreich herrscht in ihm seit den Tagen der Staufer 
das alte Geschlecht der Wittelsbacher, aufs engste mit dem Volke verwachsen. 
So war schon die öffentliche Meinung dem Einheitsgedanken nicht so günstig 
wie anderswo auf deutschem Boden; der weit verbreitete, wenn auch politisch 
erst im Auswachsen begriffene Klerikalismus widerstrebte ihm mindestens in 
anderer als großdeutscher Gestalt: nur im Rausche der Siegesbegeisterung, noch 
während des Krieges, durfte man mit Bestimmtheit hoffen, ihn zu meistern. 
Auf dem Throne Bayerns aber saß ein Fürst schon damals wunderlicher 
Lebenshaltung und sicherlich nicht normaler Anlage, Ludwig II. Würde es 
gelingen, seinem hochfahrenden Sinn, seiner übertriebenen Vorstellung von jeder 
fürstlichen, vor allem aber seiner eigenen Würde den Entschluß oder wenigstens 
die Zustimmung zur Unterordnung unter eine Bundesorganisation welcher Art 
auch immer zu entreißen? 
Was aber die Entwicklung der konkreten Einheit in ähnlicher Weise er- 
schwerte wie der teilweise widerstrebende Wille der Fürsten, das war die Tat- 
fache, daß die Kreise, Gruppen und Personen, die der Einheit in Deutschland 
überhaupt bewußt und unter deutlicheren Vorstellungen zustrebten, unter sich 
keineswegs einig waren. Da wollten Demokraten und ausgesprochene 
Liberale eine Einheit von Volkes Gnaden und trafen sich in diesem Gedanken 
teilweise mit den persönlichen Neigungen des preußischen Kronprinzen, 
insofern dieser die Herrschaft der kleineren Fürsten in einem Sturm der 
Vereinigung ihrem realen Inhalte nach am liebsten beseitigt hätte. Und da 
widerstrebten die Konservativen ganz allgemein einer deutschen Bundes- 
bildung von unten her und erhofften in Preußen, soweit sie dem Einheits- 
gedanken überhaupt näher traten, unter einem durchaus legitimistischen Aus- 
gange am ehesten etwas wie eine starke Erweiterung des preußischen und das 
hieß ihnen zum Teil ihres eigenen Einflusses auf Deutschland. König 
Wilhelm stand dieser Auffassung in gewisser Hinsicht nicht mehr so fern, als 
das vielleicht 1866 oder gar 1860 der Fall gewesen wäre: er fühlte sich an 
erster Stelle denn doch als König von Preußen, und er war keineswegs gewillt, 
dieser Würde durch Übernahme allgemein deutscher Pflichten, so wie er die 
Dinge ansah, »etwas zu vergeben«. 
Dies war die Lage, und in ihr bedurfte es der ganzen diplomatischen 
Geschicklichkeit Bismarcks und des Ministers Delbrück, seines unermüdlichen 
Mitarbeiters in dieser Sache, um ein günstiges Ergebnis herbeizuführen, trotz 
aller vorwärts weisenden Stimmungen des Volkes. 
Die ersten Gedanken über eine künftige Einheit hatten sich natürlich 
alsbald mit den ersten großen Siegen eingestellt, und sie reiften bis zu einem 
gewissen Grade um so früher, als man nach Sedan vielfach, auch in den 
leitenden militärischen Kreisen, an einen raschen Schluß des Krieges glaubte. 
So überreichte denn der Kronprinz Friedrich Wilhelm dem Fürsten 
Bismarck schon am 14. August eine Denkschrift zur Sache der künftigen
	        
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