Full text: Neueste Geschichte von 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

Der Krieg von 1870/71 und die Gründung des Deutschen Reiches. 243 
Einheit, und bereits am 22. August sondierte Bismarck beim Kronprinzen 
Albert von Sachsen, ob die Frage der Bundeserweiterung auf Süddeutschland 
nicht in einem Fürstenkongreß während des Feldzuges zu lösen sein würde, 
auf französischem Boden, wo so manche deutsche Bedenken von selbst würden 
schweigen müssen. Mit den Fürsten aber ging sogleich die Nation vorwärts. 
In München, in Stuttgart und Karlsruhe wurden die dem Anschlüsse an den 
Norden günstigen Kreise durch die Tätigkeit Laskers und Forckenbecks, der 
wichtigsten liberalen norddeutschen Parlamentarier, bewegt und erweitert. 
Dann, am 2. September, ergriff der Großherzog von Baden eine 
erste wirkliche Initiative: er erbat bei dem Norddeutschen Buude den Eintritt 
seines Landes, die Erweiterung des Bundes auf ganz Süddeutschland, die 
Annahme des Kaisertitels durch den König von Preußen. Darauf erging am 
12. September von Bismarck eine generell zustimmende Antwort: aber die 
Initiative müsse von den süddeutschen Regierungen überhaupt ausgehen. 
So ging denn die Reihe zu handeln an Bayern vor allem und an 
Württemberg über — Hessen konnte man als eines Sinnes mit Baden be- 
trachten. Die Initiative wurde von Bayern ergriffen. Graf Bray, der 
führende bayrische Minister, der die Einheitsfrage nüchtern von grundsätzlich 
bayrischem Standpunkte aus ansah, fand die Zustimmung König Ludwigs zu 
Vorschlägen, in denen die bayrische Selbständigkeit bei allgemeiner Neigung, 
in den Bund einzutreten, stark betont war. Bismarck hatte nichts anderes 
als dies erwartet, und er sandte nun Delbrück nach München, um unter dem 
sich steigernden Eindrucke der deutschen Kriegserfolge über die Einzelheiten 
weiter zu verhandeln. Delbrück kam am 21. September in München an; bald 
stellte sich neben ihm der württembergische Minister von Mittnacht ein, und 
Besprechungen aller drei Minister begannen auf der Grundlage der Be- 
stimmungen der norddeutschen Verfassung. Sie dauerten bis zum 29. September; 
immer günstiger verliefen sie: Delbrück glaubte ihr Schlußergebnis schon mit 
den Worten, die deutsche Einheit sei gesichert, bezeichnen zu können. 
Danach kam es für Bismarck eigentlich nur noch darauf an, den Krön- 
Prinzen und den König von Preußen für die gefundene Lösung zu gewinnen 
und den feierlichen Abschluß der Verhandlungen, wie er erhoffte, durch einen 
deutschen Fürstenkongreß und womöglich auch einen deutschen Reichstag auf 
französischem Boden herbeizuführen. 
Aber eben bei der Durchführung dieses Abschlusses stellten sich uner- 
wartete Schwierigkeiten ein. Sie gingen von König Ludwig von Bayern aus 
— wurden aber auch, wie wir sehen werden, durch die Haltung König Ludwigs 
von Bayern wieder beseitigt. 
König Ludwig, schon damals ein Einsiedler, konnte sich nicht zu einer 
Fahrt nach Frankreich entschließen, so verlockend man ihm einen Aufenhalt in 
Trianon oder Fontainebleau vorstellte. Die durch sein Zögern veranlaßte 
Pause in den Verhandlungen machte dann wieder den König Karl von 
Württemberg stutzig; im Gegensatze zu seinen gut deutsch gesinnten Ministern 
unterlag er den schon geschilderten, der deutschen Einheit abholden Einflüssen. 
Bismarck reagierte gegen diese widrigen Strömungen dadurch, daß er 
nunmehr, am 2. Oktober, das badische Angebot, in einen neuen Bund ein- 
zutreten, formell annahm und den Großherzog einlud, wegen des Abschlusses 
im einzelnen Unterhändler nach Versailles zu senden. Dieser Schritt hatte 
den erwarteten Erfolg, daß sich darauf, aus Eifersucht und Furcht, majorisiert 
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