Full text: Neueste Geschichte von 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

Übersicht über die innerpolitische Entwicklung des Deutschen Reichs seit 1871. 247 
geschichtlichen Entwicklung beruhenden Selbständigkeit seiner einzelnen Glieder 
dennoch dem Einheitsbedürfnis der Nation gerecht wurde, indem er die Einzel- 
staaten verpflichtete, ihre Souveränität in allen Angelegenheiten von allgemeiner 
Bedeutung (Heerwesen, Wirtschaftspolitik, Rechtsprechung zc.) einer starken 
Zentralgewalt unterzuordnen. Es war ein „gesunder Ausgleich zwischen 
dem Unitarismus und dem Partikularismus der vorhergehenden Zeiten". 
1). Die Mehrheit des deutschen Volkes fühlte sich durch diese 
Lösung der Einheitsfrage durchaus befriedigt. Der Ausfall der 
Wahlen zum ersten Deutschen Reichstage brachte der Partei, auf die sich die 
Einheitspolitik Bismarcks vornehmlich stützte, einen großen Sieg: 120 Mann 
stark erschienen die Nationalliberalen im Parlamente. Am 14. April 1871 
wurde die Reichsverfassung mit allen gegen 7 Stimmen angenommen. 
Anmerkung. Die Vorbehalte (Reservatrechte) beließen Bayern. Württemberg 
und Baden im Fortbezug gewisser Steuern (Bier- und Branntweinsteuer); Bayern und 
Württemberg behielten ferner ihr eigenes Postwesen, Württemberg und Sachsen ihre 
eigene Militärverwaltung (Ernennung der Offiziere durch den Landesfürsten). Das 
bayrische Heer bildete im Frieden einen in sich geschlossenen Teil der deutschen Armee, 
der jedoch dem Aufsichtsrechte des Kaisers (Inspektionen) unterstehen und im Kriege 
sofort unter den Oberbefehl des Kaisers gestellt werden sollte. — Hamburg und Bremen 
standen bis 188 L bezw. 1885 außerhalb des Zollvereins. 
2. Der gesetzgeberische Ausbau des Reiches 
folgte dem Drange des wachsenden Einheitsbedürfnisses und brachte wichtige 
Fortschritte in der Durchführung der nationalen Einheit. 
Die Reichsverfassung hatte wohl die Richtlinien des inneren Ausbaues 
der neuen Reichseinheit vorgezeichnet, aber sie vermochte längst nicht alle die- 
jenigen Gebiete auszuzählen, auf denen sich gemeinsame Lebensinteressen der 
Nation immer stärker zu entfalten begannen. 
„Da war es denn ein Glück, daß man sich unter dem Einfluß der 
unitarischen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strömungen nicht ängstlich 
an Wortlaut und bestehende Schranken hielt; während die Verfassung des 
Norddeutschen Bundes, jetzt des Reiches, aus den unmittelbaren politischen 
Voraussetzungen der Jahre 1865 bis 1870 nur im Sinne einer Führung 
Preußens entwickelt worden war, die keinerlei nationalen Lebensgebieten als 
den damals für unbedingt notwendig erachteten näher trat, wurden jetzt alle 
Keime gemeindeutscher Lebensanfänge weiter entwickelt." (Lamprecht.) 
A. An erster Stelle riefen die Verkehrsbedürfniffe des gesteigerten 
neuzeitlichen Wirtschaftslebens eine überaus fruchtbare gesetzgeberische Tätig- 
feit hervor. 
a. Die Einheit des der Aufsicht des Reichs unterstellten Geld- und 
Kreditverkehrs wurde durch das Münzgesetz von 1873 (Einführung der 
Goldwährung und der Markrechnung) und das Bankgesetz von 1875 (Um¬ 
wandlung der Preußischen Bank in die Reichsbank, deren Notenausgabe auf 
250 Millionen Mark festgesetzt wurde) begründet. Die Tätigkeit der Bundes- 
staaten wurde auf diesem Gebiete „fast völlig lahmgelegt". 
b. In gleicher Weise übernahm das Reich die einheitliche Regelung 
des Schutzes für gewerbliches Eigentum (Gesetze über Handels- und 
Fabrikzeichen, Marken- und Musterschutz, über das Urheberrecht an Werken 
der bildenden Kunst und der Literatur, Reichspatentgesetz 1877).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.