Die innere Entwicklung Preußens nach den Freiheitskriegen.
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heit überall an den Tag gelegt hatten, erfüllte die Sieger mit hochmütiger Verachtung
ihrer Gegner." (Flathe.)')
§ 5. Die innere Entwicklung Preußens in den Jahren nach den
Freiheitskriegen.
Während der Preußische Staat in der auf die Freiheitskriege
folgenden Periode seiner Geschichte durch die Unterordnung seiner
Interessen unter die Ziele der österreichischen Restauratious-
Politik nach außen hin an Ansehen und Bedeutung die schwerste
Einbuße erlitt, reifte er durch eine langsam aber stetig fort-
schreitende innere Entwicklung der Erfüllung seiner nationalen
Aufgabe entgegen.
I. Die Ausgaben der inneren Politik Preußens nach den Freiheitskriegen und die
Schwierigkeiten, die sich ihrer Lösung entgegenstellten.
1. „Nach dem Friedensschlüsse begann für Preußen wieder wie einst in
den Tagen Friedrich Wilhelms I. ein Zeitalter stiller Sammlung, reizlos
und nüchtern, arm an großen Ereignissen, reich an Arbeit und stillem Ge-
deihen, eine Zeit, da das gesamte politische Leben in der Tätigkeit der Ver¬
waltung aufging und das königliche Beamtentum noch einmal seine alte staats-
bildende Kraft bewährte." (Treitschke.) Die preußische Regierung sah sich
vor eine kaum zu bewältigende Fülle der schwierigsten Aufgaben gestellt, die
sich alle demselben Ziele unterordneten: Der Wiederherstellung, Neubildung und
Vollendung des Einheitsstaates.
a. Da galt es zunächst, das bunte „Gewirr von Ländertrümmern",
das dem Staate neu zugewiesen worden war, mit den alten Provinzen zu
einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen und die Organisation der
Staatsverwaltung zu ergänzen und ihre Bezirke neu abzugrenzen.
b. Die zerrütteten Finanzen bedurften dringend einer Neuordnung,
die wieder auf die gesamte Wirtschaftspolitik ihre Rückwirkung ausüben und
besonders in der Zoll- und Handelspolitik zur Eröffnung völlig neuer Bahnen
führen mußte.
c. Der Erhaltung der Wehrkraft des Landes mußte durch die Ein-
führung einer neuen Wehrordnung Rechnung getragen werden.
d. Der starke Zuwachs Preußens an Untertanen, die der römischen
Kirche angehörten, machte eine Auseinandersetzung des Staates und der Kirche
über ihre gegenseitigen Verpflichtungen zur Notwendigkeit.
6. Endlich forderten die Bedürfnisse der Zeit auch die Inangriffnahme
der schwierigsten aller innerpolitischen Fragen, der Verfassungsfrage.2)
2. „Niemals in der neueren Geschichte hatte eine Großmacht so
schwierige Aufgaben der Verwaltung zu lösen."
a. Zu den 5 Millionen Einwohnern alten Bestandes war dem Preußischen
Staate eine Bevölkerung von 5 V2 Millionen hinzuüberwiesen worden, die vor
*) Ausführlicberes über die Kongresse von Troppau, Laibach und Verona sowie
über die politischen Zustände in Frankreich, England, Spanien und Italien bei Treitschke,
III. Bd. und Flathe: Restauration und Revolution.
2) Die preußische Zollpolitik und die Verfassungsfrage soll erst an späterer Stelle
zur Behandlung kommen.
Jahn, Zur deutschen Geschichte. III. Teil. 5