Preußen unter der Regierung Friedrich Wilhelms I.
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J. In nachdrücklichster Weise übte der König den Bauernschutz aus.
Er verbot die Einziehung von Bauernstellen (das Bauernlegen) und befahl den
Regierungen (Landgerichten), strengstens darauf zu achten „daß kein Landesvasall, von
dem Markgrafen an bis zu dem geringsten, er sei, wer er wolle, sich eigenmächtig
unterstehen dürfe, einen Lauern ohne gegründete rai80n und ohne den Hof wieder
zu besetzen, aus dem Hofe zu werfen" (t?3g).
6. Sowenig die derb realistische Natur des Königs imstande war, die
Bildungswerte der Geisteswissenschaften und schönen Künste zu würdigen, so
widmete er doch der Förderung der allgemeinen Volksbildung das
lebhafteste Interesse.
a. Die Pflege der Wissenschaften erschien dem krassen Nützlichkeitssinne
Friedrich Wilhelms I. nur insofern wichtig, als er ihre praktische Bedeutung
zu erkennen vermochte (Rechtswissenschaft, Medizin, X^eotogie); im übrigen
begegnete er der Arbeit der Gelehrten nur mit Hohn und beleidigender Gering¬
schätzung (Gundling im Tabakskollegium; Vertreibung des Philosophen Wolff
aus Halle).
b. Um so höher wußte der König den „sittlichen und wirtschaftlichen
Segen einer weitverbreiteten Schulbildung" zu schätzen.
Darum ging er auch auf diesem Gebiete der Gesetzgebung allen andern
Großstaaten Europas voran, indem er 1717 die Einführung des Schul¬
zwanges verfügte.
Bei nachdrücklicher Strafe sollten die Eltern gehalten sein, ihre Kinder vom
5. bis \2. Lebensjahre im Winter täglich, im Sommer wenigstens zweimal wöchentlich
zur Schule zu schicken. Damit die Schulen nicht wie bisher lediglich aus kirchlichen
Mitteln unterhalten zu werden brauchten, erließ der König eingehende Verfügungen
über die Erhebung von Schulgeld, den Bau von Schulhäusern, die Besoldung der
Lehrer und warf (x736) aus staatlichen Mitteln einen Fonds von 50 000 Taler zur
Förderung des Landschulwesens aus. Den um die Lehrerbildung hochverdienten
Franckeschen Anstalten zu Halle ließ er reichliche Unterstützung angedeihen. Trotz der
geringen Mittel, die dem Könige für diesen Zweck zur Verfügung standen, hat er
doch nicht weniger als \8oo Schulen gegründet.
c. In kirchlichen Dingen zeigte sich der König trotz feines streng
protestantischen Glaubens doch auch gegen seine katholischen Untertanen durch¬
aus tolerant; seiner Glaubensgenossen in andern Ländern aber nahm er sich
mit regem Eifer an (Salzburger, Protestanten in Thorn).
7. Wie Friedrich Wilhelm I. dem preußischen Hof- und Staatsleben
die rauhe Tüchtigkeit seines eigenen Wesens aufzuprägen verstand, so wurde
er auch seinem Volke der große Zuchtmeister, in dessen harter Schule dem¬
selben die sittlichen Kräfte erwuchsen, in deren Entfaltung das Geheimnis der
Macht und Größe Preußens beruht.
(Vorbild der spartanisch-einfachen Lebenshaltung des Hofes, der unermüdlichen
Arbeitsamkeit des Königs; rücksichtsloses Eingreifen des strengen Gewaltherrschers
auch in die Kreise des Privatlebens: Einschränkung der Vergnügungen und des Luxus,
verbot des Müßiggangs rc.)9
9 Zum eingehenden Studium der Verdienste Friedrich Wilhelms I. um den
preußischen Staat seien außer den erwähnten Werken von Droysen, Ranke und Lamprecht
besonders die diesbezüglichen Aufsätze Schmollers in Bd. 26 der Preußischen Jahrbücher
empfohlen.