Full text: Deutsche und brandenburgisch-preußische Geschichte von 1648 bis 1815 (Teil 2)

66 Kolonisation Ostdeutschlands und Vorgeschichte Brandenburg-Preußens. 
Erst als das Reich auf jede tiefergehende Beeinflussung der territorialen 
Entwicklung offiziell verzichtet hatte, war die Bahn frei für die Umwandlung 
wenigstens der größeren weltlichen Territorien zu modernen Staatswesen. Der 
Weg, der dahin führte, war überall derselbe: straffe Zentralisation aller 
Kräfte durch das absolute Fürstentum, unter Beseitigung der ständischen 
Sonderinteressen. 
Allerdings erwuchs aus dieser völlig selbständigen Entwicklung der Einzel¬ 
staaten der Übelstand, daß eine spätere Zusammenfassung der Nation sehr er¬ 
schwert wurde. Eine dauernde Auflösung des deutschen Volkes in minder 
mächtige Sondergemeinschaften, die schließlich der Resorption durch mächtige 
Nachbarstaaten kaum entgangen wären, konnte eben nur dadurch verhindert 
werden, daß sich einer der zahlreichen Einzelstaaten zu einer Macht 
entwickelte, die stark genug war, die nationale Sache allein zu vertreten. 
d. Ein Staat aber, der dazu geeignet sein sollte, die nationale 
Führerschaft zu übernehmen, gleichsam den „positiven Pol" der weiteren 
nationalpolitischen Entwicklung zu bilden, mußte vor allem in den nationalen 
Interessen des Volkes der Hauptsache nach seine eigenen Interessen erkennen; 
er mußte ferner den konfessionellen Gegensätzen zum Trotz rückhaltlos den 
Grundsatz der Glaubensfreiheit zur Geltung bringen. 
2. War nun Österreich, der bei weitem umfangreichste aller zum Reiche 
gehörigen Staaten, imstande, die nationale Führerschaft in Deutschland zu 
übernehmen? 
а. Der habsburgische Länderkomplex war wohl der größte und mächtigste 
Reichsstand, aber dieses Gemisch verschiedener Nationalitäten, das sich unter 
dem Zepter der Nachkommen Rudolfs I. zusammengefunden hatte, war weit 
davon entfernt, ein deutscher Staat zu sein, dessen Interessen mit 
denen des deutschen Volkes im großen und ganzen zusammengefallen wären. 
I). Dazu kam, daß die andauernde kirchliche Reaktion in den habs¬ 
burgischen Landen auch das geistige Band mehr und mehr zerriß, das Österreich 
mit dem Lebensinteresse eines großen Teiles der Nation verknüpft hatte. 
б. Die — bis auf eine kurze Periode unter Joseph II. — von rein 
dynastischen Interessen beherrschte Politik Österreichs entfremdete 
den Kaiserstaat der deutschen Entwicklung immer mehr. Nimmermehr konnte 
die deutsche Nation unter habsburgischer Führung zur Wiederherstellung der 
alten politischen Einheit gelangen. 
3. Das Gegenstück zu der wachsenden Entfremdung Österreichs von 
Deutschland bildete das Heranreifen des brandenburgisch-preußischen 
Staates für die Erfüllung seiner nationalen Aufgabe. 
a. Schon vor dem Beginne des großen Krieges war Brandenburg durch 
Gebietserweiterungen im äußersten Osten und Westen über den rein landschaft¬ 
lichen Charakter der übrigen deutschen Territorien emporgewachsen; die Um¬ 
risse eines künftigen norddeutschen Großstaates waren bereits vor¬ 
gezeichnet. Noch waren die verzettelten Gebiete des Hohenzollernstaates zwar 
durch kein anderes Band verknüpft als das dynastische des gemeinsamen 
Herrschers, aber das große politische Ziel der Weiterentwicklung dieses 
Territoriums stand doch klar vor Augen; wenn es gelang, diese Elemente zur 
Staatseinheit zu verknüpfen, so konnte es auch nicht fehlen, daß die klaffenden 
Lücken des Staatsgebietes dereinst ausgefüllt wurden.
	        
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