40 Die Geschichte des Karolingerreiches.
Zwischengewalten, die sich eingeschoben hatten, verloren gegangen. Die Könige
konnten nicht mehr kraft ihres alten Herrscherrechts gebieten, sondern der Staat
mußte umgestaltet werden, wenn er seine Einheit bewahren fottte.
§ 12. Das Lehnsroesen. (Nach Lamprecht.)
1. Die Notwendigkeit der Umwandlung des fränkischen Reiches
in einen Lehnsstaat erwuchs aus dem Verfall der Königsgewalt.
Die merowingischen Könige bedurften für ihr weites Reich' eines Be-
amtentums, welches die Königsgewalt in den unteren Instanzen vertrat und
den Fiskalbesitz verwaltete (f. § 6, 2). Da die merowingischen Könige ver-
säumten, ihre Bareinkünfte (aus den Steuern der romanischen Bevölkerung)
zur Besoldung der Beamten zu verwenden, so lohnten sie die Dienste derselben
mit der Uberweisung von Grund und Boden zur Nutznießung. Da jedoch auf
diese Weise der Fonds des Amtseinkommens in die Hände der Beamten ge-
geben wurde, drängte diese Besoldungsart zur Erblichkeit des Nutzbesitzes und
damit auch der Ämter. Sobald dieser Prozeß sich aber vollzogen hatte, übten
die Beamten (Grafen) ihre Befugnisse kraft eigenen ererbten Rechtes aus, und
das Königtum hatte seine Gewalt in solchen Bezirken eingebüßt.
Diese Entwicklung vollzog sich schon zur Merowingerzeit im Frankenreiche,
und es drohte sich also die Zentralgewalt in eine große Anzahl lokaler Ge-
walten aufzulösen, zumal der Prozeß der Vererblichung der Ämter sich ver-
qnickte mit der staatlichen Berselbständignng der Grundherrschaften. Daher
schritten die Karolinger (schon Karl Martell) zur Einrichtung des Lehnswesens.
2. Die Veranlassung zur Einrichtung des Lehnswesens. Es
war den Merowingern nicht gelungen, das römische Steuersystem auch auf die
germanischen Völker ihres Nachbarreichs auszudehnen, ja die romanische Be-
völkerung hatte sich allmählich der Besteuerung zu entziehen gewußt. Somit
standen den Königen bald keine Barmittel mehr zur Verfügung, und sie
mußten zur Zeit der Teilungskriege, für welche sie den Heerbann nicht auf-
biete» konnten, die Dienste ihrer Großen durch massenhafte Landschenkungen
erkaufen. Als nun die karoliugischen Hausmeier der Hilft der Großen zu
auswärtigen Kriegen bedurften, war der Fiskalbesitz bereits so weit zusammen-
geschmolzen, daß sie die Treue der Großen durch andere Maßregeln erkaufen
mußten, welche als der Beginn der Begründung des Lehnswesens anzu-
sehen sind.
3. Die Elemente, aus denen das Lehnswesen sich entwickelt
hat, sind:
a. Das Vassentum. Seit den ältesten Zeiten waren die germanischen
Könige von einem Gefolge (Antrustioneu) umgeben. Diese Antrustionen
übernahmen schon frühzeitig neben ihren ursprünglich rein kriegerischen Auf-
gaben auch Haus- und Staatsämter (s. § 6).
Bald begannen auch die Grundherren solche Gefolgschaften um sich zu
versammeln, und massenhaft strömten bei der zunehmenden Landnot hufenlofe
Freie in ihren Dienst. Sie verpflichteten sich dem Grundherrn (Senior)
durch Handeinlegen zur unbedingten Treue und traten in ein besonderes Schutz-
Verhältnis zu ihrem Senior, der für ihren Unterhalt zu sorgen hatte. Solche
Gefolgsleute hießen Bassen. (Über die unmittelbare politische Bedeutung
dieses Vorgangs s. § 11.)