Full text: Geschichtliche Bilder und Vorträge

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pilgerten über das Meer nach den Orten, wo der Heiland gelebt 
und gelitten. Und wenn diese dann am Grabe des Herrn beteten, 
so fühlten sie tief innerlich die Schmach, daß die Türken, die Feinde 
und Verächter ihres Glaubens, daselbst herrschten; sie fühlten sich 
von heißem Ingrimm ergriffen, wenn sie die heiligen Stätten der 
Verhöhnung, sich selbst nicht selten qualvoller Bedrückung preis- 
gegeben sahen. Kein Wunder, daß in ihnen selbst wie überall, wo 
man ihre Schilderung vernahm, mit der Empfindung der Schmach 
auch das Begehreu, sie zu sühnen, erwachte. So regte sich in stets 
weiteren Kreisen laut und lauter und schließlich unwiderstehlich das 
Verlangen, den Ungläubigen heimzuzahlen mit der Schärfe des 
Schwertes all das Leid, das sie der Christenheit angethan. Und 
um so leichter und nachhaltiger erfaßte diese Stimmung die christ- 
lichen Völker Europas, als gerade die Freude an ritterlichen Aben- 
teuern und die Lust an Sieg und Beute den Sinn der Zeit be- 
herrschte. Da bedurfte es denn nur des äußern Anstoßes, um diese 
Bewegung zu entfesseln, damit sie bah er flute wie ein mächtiger 
Strom, ben keine Schranke einschloß. Dieser Anstoß kam von bem 
Oberhaupte ber Christenheit, bem Papste, unb bamit brach bann ber 
längst ersehnte Tag an, wo — nach ben Worten ber Propheten — 
ber Herr ber Heerscharen bie Posaune blasen unb einherschreiten wirb 
wie die Wetter aus Mittag. 
Wiederum war von Konstantinopel aus der Papst mit Bitt¬ 
gesuchen gegen die drohende Türkengefahr angegangen worden. Da 
beschloß Urban II. (1088—1099) zu helfen und der Christenheit 
Sehnsucht zu erfüllen. Seine Boten durchzogen die Lande und 
sagten die Kirchenversammlung an, welche zu Clermont im südlichen 
Frankreich stattfinden sollte. Auf die Kunde, daß Großes im Werke 
sei, bebeckten sich bie Straßen mit vornehm unb gering, mit arm 
unb reich, mit alt unb jung; sie alle eilten hin nach Clermont. 
Zahlreich waren sie erschienen, bie Bischöfe unb Äbte, bie Fürsten 
unb Ritter, zahllos bie niebrige Menge; kein umschlossener Raum 
vermochte sie zu fassen. 
Es war am 26. November 1095. Da drängte sich auf weit 
verbreitetem Felde die Menge unabsehbar zusammen und von er¬ 
höhter Stelle sprach zu ihr Papst Urban II. also: „Die Lehre 
Christi, welche das Abendlanb in ursprünglicher Reinheit bewahrt 
hat, ist auch Jahrhunberte lang in Asien frei oerkünbet unb be¬ 
kannt werben. Jene Sauber jeboch würben ben Christen entrissen; 
auch Palästina unb Jerusalem sinb eine Beute ber Ungläubigen ge¬ 
worben. Wer kann es hören ohne Jammer? Jede Stelle ist dort 
geweiht durch die Worte, welche der Erlöser gesprochen, durch die
	        
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