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genug vom Meere, um vor der Plage der Seeräuberei geschützt zu
sein. Rom war seiner Lage nach berufen, die Kräfte Latinms
unter seiner Führung zu sammeln und zu einigen; durch seine Lage
war es angewiesen, sich und Latinm zu schützen gegen die dem lati-
nischen Wesen feindseligen Nachbarn in Etrurien. So bot dieser
Punkt in Handel und Bodenwirtschaft reiche Erwerbsquellen dar;
seine Bewohner wies er auf das Land und auf die See hin, er ge-
wohnte sie an die Beschäftigungen des Friedens wie an die Werke
des Krieges; er versprach in gleicher Weise wirtschaftliche Bedeutung
und staatliche Macht. Ein solcher Punkt mußte verlockend und be-
gehrlich fein.
Neben der nachweislich ältesten Gemeinde auf dem Palatinischen
Hügel, welcher sich links vom Flusse zwischen Kuppen und Vor-
sprüngen mannigfacher Gestaltung in den scharf gezeichneten Formen
eines unregelmäßigen Vierecks als beherrschender Mittelpunkt auf-
türmte, hatte sich bald eine zweite gebildet auf dem nördlichsten
Hügel der linksseitigen Gruppe. Allmählich, freilich nicht infolge
rein friedlicher Entwicklung, bahnte sich eine Verschmelzung beider
Gemeindewefen an, nicht ohne daß sich die Erinnerung an die ehe-
malige Zweiteiligkeit noch lange in gar manchen Einrichtungen er-
halten hätte. Mit dem Kriegsglück der jungen Stadt wuchs ihre
Bedeutung, ihr Umfang. In Rücksicht auf ihre Herrschaft erzwangen
die Römer die Übersiedlung der edlen Geschlechter bezwungener
latinischen Gemeinden in ihre Stadt; nicht selten führten sie die
gefamte Einwohnerschaft einer unterworfenen Stadt herüber, natür¬
lich unter Beobachtung einer ungleichartigen Verteilung bürgerlicher
Pflichten und Rechte. Solchen Neubürgern wurde das Recht und
der Schutz des Besitzes gewährleistet; versagt blieb ihnen zunächst
alle Einwirkung auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens.
Die Stadt selbst, welche sich auf die Hügelgruppe des linken
Ufers beschränkte, bot weder in ihrem Gesamtbilde noch in den ein-
zelnen Baulichkeiten einen besonders anmutigen oder erhebenden An-
blick dar. Regellos breiteten sich die Wohnungen innerhalb und
außerhalb des alten Stadtbezirkes aus, welcher ehedem auf mehr als
eine geographische Meile im Umkreis durch mächtige Schanzwerke,
die sogenannte servianische Mauer, geschützt war. Hütten und
Häuser aus Holz und Lehm mit zugespitzten Dächern aus Stroh
oder Schindeln bedeckten planlos und unregelmäßig, selten nur in
engen gewundenen Gassen die Hügel und ihre Abhänge. Auch nach
dem gallischen Brande war die Stadt bei der sich überstürzenden
Hast des Neubaus ebenso planlos und unschön wie früher ent-
standen. Die Wohnungen, welche dem einfachen Wesen der Römer
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