Full text: Deutsche Geschichte bis zum Westfälischen Frieden (Teil 2)

Moltke: Über den Wert eines starken, tüchtigen Heeres. 206 
ein stehendes Heer zu errichten. Dies konnte befremdend erscheinen, aber 
Washington spricht sich folgendermaßen ails. Er sagt: „Die Erfahrung, 
die die beste Leiterin für das Handeln ist, verwirft so völlig klar und 
entschieden das Vertrauen auf die Miliz, daß niemand, der Ordnung, 
Regelmäßigkeit und Sparsamkeit schätzt, und der seine eigene Ehre, seinen 
Charakter und seinen Seelenfrieden liebt, diese an den Ausgang eines 
Unternehmens mit Milizen setzen wird." Und etwas später schreibt er: 
„Kurze Dienstzeit und ein unbegriindetes Vertrauen auf die Miliz sind 
die Ursachen alles unseres Mißgeschickes und des Anwachsens unserer 
Schuld." Beendet wurde bekanntlich der Krieg durch das Auftreten 
eines kleinen Korps von nur 6000 Mann, aber wirklicher Soldaten. 
Meine Herren, Frankreich hat es zweimal mit der Miliz versucht. 
Nach der Revolution war begreiflich das erste, daß man die verhaßte 
Armee auflöste: die Nation selbst sollte die junge Freiheit schützen, der 
Patriotismus sollte die Disziplin, die Begeisterung und die Massen sollten 
die kriegerische Bildung ersetzen. Es schwebt immer noch ein gewisser 
Ruhmesglanz um die Volontärs von 1791; aber, meine Herren, es gibt 
auch eine unparteiische Geschichte dieser Freiwilligen, geschrieben von einem 
Franzosen nach den Akten des französischen Kriegsministerinms. Ich 
widerstehe der Versuchung, Ihnen sehr pikante Zitate vorzuführen; ich 
müßte das ganze Buch zitieren, auf jedem Blatte finden Sie, wie nutzlos, 
wie kostspielig und welche Geißel für das eigene Land diese Formationen 
gewesen sind. Erst nach dreizehnjährigen bitteren Erfahrungen hat inan 
sich überwunden, nicht mehr die Armee unter Volontärs, sondern die 
Volontärs in die Armee einzustellen. Als dann ein Mann wie der erste 
Konsul und andere ausgezeichnete Generale sich an die Spitze setzten, da 
haben freilich diese Volontärs ganz Europa siegreich durchzogen, aber, 
meine Herren, es waren eben Soldaten geworden. 
Die zitierte kleine Schrift, aus der so nützliche Erfahrungen geschöpft 
werden konnten, ist erschienen im März 1870, und sechs Monate später 
sehen wir Frankreich zu denselben Mitteln greifen, freilich in seiner- 
äußersten Bedrängnis. Meine Herren, wir haben es alle erlebt und uns 
überzeugt, daß selbst die zahlreichste Versammlung von tüchtigen, patrio¬ 
tischen und tapferen Männern noch nicht im stände ist, einer wirklichen 
Armee zu widerstehen. Die französischen Mobil- und Nationalgarden 
haben den Krieg um mehrere Monate verlängert, sie haben blutige 
Opfer gekostet, große Verwüstung und viel Elend bereitet, aber sie haben 
den Gang des Krieges nicht wenden können, sie haben Frankreich beim 
Frieden keine besseren Bedingungen verschafft. Vollends das Unwesen 
der Franktireurs hat unsere Operationen auch nicht einen Tag aufgehalten; 
wohl aber hat es selbst unserer Kriegsführung zuletzt einen Charakter 
der Härte verliehen, den wir beklagen, aber nicht ändern konnten.
	        
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