Metadata: Lehrbuch der deutschen Geschichte für Seminare und höhere Lehranstalten

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glaubten, so wandten sie die größte Kraft und Thätigkeit an, daß der 
Staat nicht länger ohne Regenten schwanke. Durch Briefe und Gesandte 
theilten sie unter der Hand ihre Ansichten und die Gesinnungen der 
Einzelnen einander mit, ob sie übereinstimmten, ob sie verschiedener 
Meinung waren, oder wen einer zum Herrn wünschte. Denn die Vorsicht 
erfordert es, daß man daheim vorbereitet, was man draußen bedarf, und 
Ueberlegung vor der That ist der Ernte Saat. Vergebens erwartet von 
dem andern Hülse, wer sich über seine Wünsche nicht klar ist. Bei 
schwierigen Dingen im Geheimen überlegen, allmählich berathen und schnell 
handeln — das schafft guten Ersolg. Endlich wurde der Tag bestimmt 
und der Ort bezeichnet, und eine öffentliche Versammlung fand statt, wie 
ich sie nie zuvor gesehen habe. Was nun auf dieser Versammlung Denk- 
würdiges geschah, will ich alsbald berichten. 
Zwischen dem Gebiete von Mainz und Worms ist eine weite Ebene, 
welche eine sehr große Menschenmenge zu fassen vermag und in Folge der 
Inselverstecke für geheime Berathungen sicher und geeignet ist *). Dort 
kamen alle Fürsten, das Mark und der Kern des Reiches, zusammen und 
schlugen an beiden Seiten des Rheins ihr Lager auf. Da dieser Gallien 
von Deutschland trennt, kamen von deutscher Seite die Sachsen mit den 
ihnen anwohnenden Slaven, die Ostfranken, die Bayern und Allemannen 
zusammen; von Gallien her vereinigten sich aber die oberwärts am Rheine 
wohnenden Franken, die Ripuarier und die Lothringer. Sie erwogen das 
wichtige Werk, es handelte sich um das Höchste. Man schwankte bei der 
Unsicherheit der Wahl. Zwischen Hoffnung und Furcht schwebend, fragten 
Verwandte sich einander nach den verschiedenen Wünschen und Freunde 
lange Zeit sich gegenseitig aus. Galt ja doch die Berathung nicht einer 
Sache von gewöhnlicher Bedeutung, sondern einer solchen, die da, wenn 
sie nicht mit warmem Herzen in größtem Eifer geschmiedet wurde, den 
ganzen Reichskörper in's Verderben zog. Und um mich eines bekannten 
Wortes zu bedienen: Wohl bekommt es dem Munde, daß die Speise gut 
gekocht werde, welche roh genommen Gesahr bringt, und wie man sagt: 
Ein Heilmittel, welches für das Auge bestimmt ist, muß vorsichtig bereitet 
werden! Solcher Maßen wurde lange gestritten, wer König sein sollte; 
dem einen stand bald noch zu unreifes bald ein zu hohes Alter, dem andern 
sein noch nicht genügend erprobter Character, manchem ein offenkundiger 
*) Der Wahlort wird von Wipo nicht näher bezeichnet; Hermann von 
Reichenau nennt in seiner Chronik Kamba (in der blühenden Rheinebene bei 
Oppenheim), und dieser Ort wird allgemein als das Centrum der Wahlverhandlungen 
angenommen.
	        
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