Full text: Lehrbuch der deutschen Geschichte für Seminare und höhere Lehranstalten

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Gestalt und den Schmuck der Stirn; nur die Zahl erfreut die Einwohner, 
das ist ihr einziger, liebster Schatz. Ob Silber und Gold Huld oder Zorn 
der Götter ihnen versagt hat, weiß ich nicht. Doch möchte ich nicht 
behaupten, daß sich in Germanien keine Ader Silbers oder Goldes finde, 
denn wer hat je nachgesucht? Sein Besitz und Gebrauch wirkt 
auf sie nicht wie anderswo. Man kann bei ihnen silberne Gefäße, 
die ihre Gefandten und Fürsten als Geschenke erhielten, neben irdenem 
Geschirr zu gleich niedrigem Dienste bestimmt sehen. Obwohl die Grenz- 
stamme wegen des Handelsverkehrs Gold und Silber zu schätzen wissen, 
bleiben doch die Bewohner des Binnenlandes bei dem einfachen alten 
Tauschhandel. Selbst Eisen haben sie nicht im Uebersluß, wie aus der 
Art ihrer Waffen zu schließen ist. 
§ 2. 
Die Bewohner.l) 
Die Deutschen sind ein Zweig der großen indogermanischen Völkerfamilie, 
welche die Ost-Arier (Inder) und die West-Arier (Iraner), ferner die Hellenen, Italiker, 
Slaven, Aesten, Kelten und Germanen umfaßt. Daß diese eben genannten 
Völker verwandt sein müssen, hat die Sprachvergleichung nachgewiesen. Die Ur- 
heimath unserer Väter haben wir aus der mittelasiatischen Hochebene, über welche 
der Paropamifus oder Hindukusch emporsteigt, zu suchen. Die Zeit und die Ursachen 
der Trennung des germanischen Stammes vom arischen Völkerstamme sind bis jetzt 
noch nicht mit Bestimmtheil ermittelt; darüber lassen sich nur Vermuthungen anstellen. — 
Die Kelten fanden sich in geschichtlicher Zeit im Westen Europas, in Spanien, Gallien 
und Britannien; die Aesten bewohnten die Ostseeländer vom sinnischen Meerbusen 
bis zum Pregel; die Slaven (Wenden) besaßen den Osten Europas; die Ger- 
manen bewohnten Mitteleuropa östlich vom Rhein und nördlich von der Donau 
bis zur Nord- und Ostsee und auch die Küsten Skandinaviens. 
Die Germanen selbst möchte ich für Ureinwohner halten, für ein Volk, 
daß nie und nirgends durch fremder Völker Einwanderung und Ansiedelung 
gemischt ist. Sie feiern in alten Liedern — bei ihnen die einzige Art von 
Denkschrift und Jahrbuch — denTuisto (Tuisko), einen erdentsprossenen Gott, 
und seinen Sohn Mannus, Ursprung und Ahnherrn des Volkes. Dem 
Mannus geben sie drei Söhne, nach deren Namen die zunächst dem 
Ocean Wohnenden Ingävonen, die in der Mitte Hermionen, die 
Uebrigen Jstävonen heißen sollen.2) 
*) Tacit. Germ. cap. 2, 4, 15, 16, 17, 18, 8, 19, 20, 21. 
2) In Cap. 27—46 gibt Tacitus in ausführlicher Weise die Wohnsitze der ein- 
zelnen Völker Germaniens an. Wir lassen hier in Kürze eine Uebersicht der zahlreichen 
Stämme nach Pütz folgen: 
1*
	        
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