Full text: Lehrbuch der deutschen Geschichte für Seminare und höhere Lehranstalten

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sie unglaublich weit, nackt oder in einem leichten Mantel. Prahlerischen 
Schmuck kennen sie nicht; nur die Schilde bemalen sie mit den gewähl- 
testen Farben. Wenige haben Panzer, kaum einer »der der andere eine 
Pickelhaube oder einen Helm. Die Pferde sind nicht durch Gestalt, nicht 
durch Schnelligkeit ausgezeichnet. Ja, nicht einmal zum Volten machen, 
wie es bei uns Sitte ist, werden sie geschult; sie lassen sie gerade oder in 
ununterbrochener Schwenkung rechts herumgehen, in einem so fest ge- 
schlüsselten Kreise, daß keiner der letzte ist. — Im Allgemeinen zu ur- 
theilm, wohnt mehr Kraft dem Fußvolke bei. Deshalb kämpfen sie unter- 
mischt. Denn leicht fügen und schmiegen sich in den Reiterkampf die 
gewandten Fußkämpfer, die sie aus der gesammten jungen Mannschaft 
auswählen und vor der Schlachtreihe aufstellen. 
Die Schlachtreihe wird in Keilen aufgestellt. Vom Platze zu 
weichen, wenn man nur wieder zum Angriff umkehrt, gilt mehr für klug 
als für feige. Die Leichen der Ihrigen retten sie auch aus bedenklichen 
Schlachten. Den Schild im Stiche gelassen zu haben, ist die größte 
Schandthat. Weder beim Opfer gegenwärtig zu sein, noch die Raths- 
Versammlungen zu betreten, ist dem Beschimpften verstattet, und viele, die 
den Krieg überlebten, haben ihrer Schmach mit dem Stricke ein Ende gemacht. 
Es geht die Ueberlieferung, einigemal sei die Schlachtordnung, schon 
zum Rückzüge geneigt und wankend, von den Weibern wiederhergestellt 
worden durch unablässiges Bitten, durch Vorhalten der Brust und Hinweisen 
ans die nahe Gefangenschaft, die sie ein doppelt unerträgliches Uebel dünkt, 
wenn es ihre Frauen gilt. 
§ 5. 
Das Neligionswejen. 
Ueber das Religionswesen der Germanen sind die Nachrichten des Tacitus wie 
überhaupt der Alten äußerst dürstig und unvollkommen. Tacitus erwähnt nur drei 
Gottheiten, Merkur, Mars, Herkules, welche die Deutschen als Lenker des Natur- 
lebens verehrt hätten, und außer diesen berichtet er noch in etwas ausführlicher Weise 
über die Göttin Nerthus oder Hertha. Die Bezeichnung germanischer Gottheiten 
mit römischen Götternamen ist daraus erklärlich, daß die römischen und auch griechischen 
Schriftsteller die Götter fremder Nationen mit ihren eigenen zusammenstellten und ihnen 
dieselben Namen beilegten, weil nach ihrer Ansicht der innerste Grund alles Religions- 
Wesens übereinstimmen müsse. Mehr Beachtung als den Göttern schenkt Tacitus wie 
auch Cäsar (de hello Gallico cap. 13 und 14) der religiösen Entwicklung in Cultus 
und Opferdienst, und was uns Tacitus darüber wie auch über die Göttin Nerthus über- 
liefert hat, geben wir hier zuerst, um dann eine kurze Darstellung der deutschen Mytho- 
logie folgen zu lassen.
	        
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