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ihm, wie Gott wolle. „Es soll wissen jedermann", sagt er, „daß er mir keinen Dienst
daran thut, so er die freveli>che, ketzerische, lügenhafte Bulle verachte, wiederum kein
Verdrieß, jo er sie hochachte. Ich bin von Gottes Gnaden frei, darf und will mich
der Dinge keins weder trösten noch entsetzen. Ich weiß wohl, wo mein Trost und Trotz
stehet, der mir wohl sicher stehet vor Menschen und Teufeln. Ich will das Meine thun,
ein jeglicher wird für sich antworten an seinem Sterben und jüngsten Tage und dann
meiner treuen Warnung wohl inne werden. Damit aber niemand sich entschuldige, er
wisse nicht, worin er sich vor solchem Frevel und Jrrthum hüten solle, will ich die
Artikel, in der Bulle verdammt, erzählen und der römischen Frevler Blindheit und
Bosheit zuvor anzeigen." Die Bulle rede zweideutig von ketzerischen, irrigen, ärger-
lichen, verführerischen, unleidlichen Artikeln, habe sie aber nicht unterschieden, um sie
alle zusammen zu verdammen. Sie befehle, alle seine Bücher zu verdammen, auch die,
in denen kein Jrrthum sei. Das aber sei unerhört in der Christenheit, so dem Volke
öffentlich zu gebieten, die Wahrheit zu verleugnen und zu verdammen. Die Artikel der
Bulle aber suchte er in einer besonderen Schrift zu widerlegen. Aber ehe diese noch
erschien, that er, um den Papisten zu zeigen, daß es keine große Kunst sei, Bücher zu
verbrennen, die man nicht widerlegen könne, einen Schritt, der ihn auch äußerlich von
der römischen Kirche trennte. Er hatte nämlich gehört, daß man zu Ingolstadt, Mainz,
Köln, Löwen und Antwerpen, wiewohl unter lauten Aeußerungen des Unwillens seitens des
Volkes, leine Schriften verbrannt hatte. Da wurden am 10. December 1520 die Studenten
durch einen Anschlag eingeladen, um der Verbrennung der unchristlichen Dekretalien
beizuwohnen. Vor dem Elsterthore zu Wittenberg warf darauf Dr. Luther
die antichristlichen Decretalien sammt der Bulle Leonis X., die wider ihn kürzlich
ausgegangen war, ins Feuer mit diesen Worten: „Weil du den Heiligen des Herrn
betrübet hast, so betrübe und verzehre dich das ewige Feuer." Er ließ auch eine Schrift
ausgehen: „Warum des Papsts und seiner Jünger Bücher verbrannt sind", nämlich
weil von Alters gebräuchlich sei, vergiftete böse Bücher zu verbrennen, weil er als
Doctor der heiligen Schrift falscher Lehre wehren müsse, weil der Papst und seine Ver-
führet verstockt seien und sich nicht wollten weisen lassen, sondern die evangelische Lehre
verdammten. Seit dieser Zeit, da Luther auch öffentlich aus der römischen Kirche
austrat, trennten sich von ihm diejenigen, welche zwar eine Heilung der kirchlichen
Verbrechen wünschten, aber sich fürchteten, dadurch die römische Kirche zu zertrümmern.
Es blieben auf seiner Seite aber diejenigen, welche mit der heiligen Schrift näher
vertraut waren und einsahen, daß von der römischen Kirche kein Heil mehr zu erwarten
war. Es hingen ihm aber auch an eine ganze Menge solcher, welche aus äußerlichen
Gründen mit der römischen Kirche unzufrieden oder zerfallen waren. Staupitz zog sich
in die Stille zurück, Erasmus war vorsichtig bedacht, nach beiden Seiten keinen
Anstoß zu geben.
§. 65.
Kaiser Karl V. 1519—1556 und der Reichstag ?u Worms. 1521.
Während dieser Vorgänge auf kirchlichem Gebiete war die Aufmerksamkeit zu¬
gleich auf die neue Kaiserwahl gerichtet gewesen; denn man erwartete von dem neuen
Kaiser nicht nur die Befestigung der bereits wieder wankenden Ordnung in den Reichs-
angelegenheiten, sondern auch eine Umgestaltung der kirchlichen Verhältnisse. Die
Fürsten hatten nach Maximilian's Tode Friedrich den Weisen, Kurfürsten von Sachsen,