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Das junge Deutschland. 
boshaft, ihn vom Boden aufzuheben und dem Publikum zu zeigen, daß er 
inwendig hohl war. Wen sein Schwert nicht erreichen konnte, den tötete 
er mit den Pfeilen seines Witzes. Die Freunde bewunderten die bunten 
Schwungfedern dieser Pfeile; die Feinde fühlten die Spitzen in ihren 
5 Herzen. Der Lessingsche Witz gleicht nicht jenem enjouement, jener 
§aite, jenen springenden saillies, wie man hierzuland dergleichen kennt. 
Sein Witz war kein kleines französisches Windhündchen, das seinem eigenen 
Schatten nachläuft; sein Witz war vielmehr ein großer deutscher Kater, 
der mit der Maus spielt, ehe er sie würgt, 
io Ja, Polemik war die Lust unseres Lessings, und daher überlegte er 
nie lange, ob auch der Gegner seiner würdig war. So hat er eben durch 
seine Polemik manchen Namen der wohlverdientesten Vergessenheit ent¬ 
rissen. Mehrere winzige Schriftstellerlein hat er mit dem geistreichsten 
Spott, mit dem köstlichsten Hunror gleichsam umsponnen, und in den 
i5 Lessingschen Werken erhalten sie sich nun für ewige Zeiten wie Insekten, 
die sich in einem Stück Bernstein verfangen. Indem er seine Gegner 
tötete, machte er sie zugleich unsterblich. Wer von uns hätte jemals etwas 
von jenem Klotz erfahren, an welchen Lessing so viel Hohn und Scharfsinn 
verschwendet! Die Felsenblöcke, die er auf diesen armen Antiquar ge- 
üo schleudert und womit er ihn zerschmettert, sind jetzt dessen unverwüstliches 
Denkmal. 
Merkwürdig ist es, daß jener witzigste Mensch in Deutschland auch 
zugleich der ehrlichste war. Nichts gleicht seiner Wahrheitsliebe. Lessing 
machte der Lüge nicht die mindeste Konzession, selbst wenn er dadurch in 
25 der gewöhnlichen Weise der Weltklugen den Sieg der Wahrheit befördern 
konnte. Er konnte alles für die Wahrheit tun, nur nicht lügen. Wer 
darauf denkt, sagte er einst, die Wahrheit unter allerlei Larven und 
Schminken an den Mann zu bringen, der möchte wohl gern ihr Kuppler 
sein, aber ihr Liebhaber ist er nie gewesen. 
30 Das schöne Wort Buffons „Der Stil ist der Mensch selber!" ist auf 
niemand anwendbarer als auf Lessing. Seine Schreibart ist ganz wie 
[eilt Charakter: wahr, fest, schmucklos, schön und imposant durch die in¬ 
wohnende Stärke. Sein Stil ist ganz der Stil der römischen Bauwerke: 
höchste Solidität bei der höchsten Einfachheit; gleich Quadersteinen ruhen 
35 die Sätze aufeinander, und wie bei jenen das Gesetz der Schwere, so ist 
bei diesen die logische Schlnßfolge das unsichtbare Bindemittel. Daher 
in der Lessingschen Prosa so wenig von jenen Füllwörtern und Wendungs¬ 
künsten, die wir bei unserem Periodenbau gleichsam als Mörtel gebrauchen. 
Noch viel weniger finden wir da jene Gedanken-Karyatiden, welche ihr 
40 la belle phrase nennt. 
Daß ein Mann wie Lessing niemals glücklich sein konnte, werdet ihr 
leicht begreifen. Und wenn er auch nicht die Wahrheit geliebt hätte und 
wenn er sie auch nicht selbstwillig überall verfochten hätte, so mußte er 
doch unglücklich sein; denn er war ein Genie. „Alles wird man dir ver- 
45 zeihen," sagte jüngst ein seufzender Dichter: „man verzeiht dir deinenNo full text available for this image
	        
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