Full text: Lehrbuch der deutschen Geschichte für Seminare und höhere Lehranstalten

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den Welthändeln noch seine Aufmerksamkeit schenkte. Zuletzt gab er mit großer Aengst- 
lichkeit sich strengen ascetischen Bußübungen hin, ließ kurz vor seinem Tode sein eigenes 
Leichenbegängnis mit feierlichem Todtenamte anstellen und starb am 21. September 1558. 
Den großen Plaki seines Lebens, die Einheit der Kirche zu erhalten und sein Haus über 
alle Fürstenhäuser Europas zu erheben, hat er nicht auszuführen vermocht, trotz aller 
Klugheit, mit der er die Fäden der Politik von ganz Europa leitete. 
§. 70. 
Die reformatorischen und politischen Lewegungen des 16. Jahrhunderts in Frankreich, 
England, den Niederlanden und Skandinavien. 
R Frankreich. Schon unter Franz 1 (1515—1547), über dessen Kriege mit Karl V. 
oben die Aede gewesen ist, hatten die Lehren der Deformation in Frankreich Eingang gefunden. Vor¬ 
nehmlich verbreitete sich der CalviniSmus, der bei den tleberreften der Waldenser und Albigenser eine 
feste Stütze fand unb dessen Anhänger Hugenotten genannt rourben. Obgleich Franz au8 politifchen 
Gründen die Evangelischen in Deutschland gegen Karl V. unterstützte, war er doch ein entschiedener 
(Segner der neuen Religionsansichten in seinen Staaten und verfolgte bie Hugenotten. Seine Sinnen» 
lust unb Eroberungssucht kosteten seinem Lande viel Gelb und Blut; durch Beförderung der Kunst und 
Wissenschaft, besonders der Lyoner Seidenmanufactur, erwarb er sich aber große Verdienste. — Unter 
seinem schwachen Sohne Heinrich II. (1547—1559) wurden die Verfolgungen der Calvinisten noch 
heftiger. Die ränkevolle Italienerin, Katharina vonMediei, die Gemahlin Heinrich's, war die 
Seele der den Calvinisten feindlichen Partei. Durch Heinrich's Verbindung mit den protestantischen Fürsten 
Deutschlands unb durch den Venrath des Kurfürsten Moritz erwarb er die lothringischen BiSthümer 
Metz, Toul unb 58erbün; auch gelang es seinem tapferen Felbherrn Franz von Guise, Calais 
den Engländern wieder zu entreißen. Die Engländer waren Bundesgenossen des Königs Philipp II. 
von Spanien, der aus Anstiften beS Papstes mit Heinrich in Streit gerathen war. Philipp's Felbherr, der 
niederländische Graf Egmont, befugte aber die Franzofen in den Schlachten bei St. Qu entin und 
Grävelingen 1558, so daß sich Heinrich zum Frieden mit Philipp verstehen mußte. Heinrich's ältester 
Sohn und Nachfolger war Franz II. (1559-1560), ber Gemahl ber schottischen Königin Maria Stuart. 
Unter biesem geistig unb körperlich schwachen Könige bildeten sich zwei Hofparteien, die danach trachteten 
bie Leitung der ©taatsgefchäste an sich zu reißen und dadurch zugleich die Spitzen der kirchlichen Parteien 
wurden. Die Häupter der Katholiken waren die aus dem lothringischen HerzogShause stammenden streng 
katholischen Gutsen (Herzog Franz von Guise); an bie Hugenotten schlössen sich bie nächsten 
Anverwandten bes königlichen Hauses, bie calvinistischen Bourbonen (Anton, ber burch seine Ge- 
mahlin, die ausgezeichnete Johanna d'Albret, Ansprüche auf das Königreich Navarra hatte, und fein 
Bruder Ludwig v on Conde) mit dem ehrwürdigen Admiral Coligny. ES gelang aber den Guisen 
sich der Regierung zu bemächtigen, unb die Hugenotten mußten nun die ärgsten Bedrückungen erfahren. 
Das veranlaßte diese zu der Verschwörung von Amboise (1560); die verhaßten Guisen, sollten ver- 
dr.ngt und die Leitung der Staatsgeschäfte dem Prinzen Ludwig von Conde übertragen werden. Allein 
jener Plan wurde entdeckr und vereitelt. 
Nach Franz II. frühem Tode folgte sein erst elfjähriger Bruder Karl IX. (1560—1574). Die 
Königin Mutter, Katharina von Medici, erhielt die Regentschaft. Um den Einfluß ber Guisen zu be- 
jchränken, näherte sie sich ben Bourbonen, stellte auch die Verfolgungen der Hugenotten ein. Durch bie 
Bemühungen deS edel gesinnten Kanzlers L'Hopital kam es sogar zu dem ReligionSgespräch zu 
Poissy (1561), daS eine Vergleichung der Bekenntnisse versuchen sollte. In Folge davon erließ die 
Regentin im Jahre 1562 ein ©biet, baS zwar bie Abhaltung bes ealvinistischen GotteSbienstes, jeboch 
nur auf bem Lande, erlaubte, aber von den Hugenotten die Räumung aller Kirchen in den Städten und 
die Herausgabe aller dem Klerus entrissenen Güter forderte. Die Häupter der Katholiken boten nun 
im Einverständnis mit ber falfchen Katharina, die bald die eine bald die andere Partei begünstigte, um 
sich selbst den Einfluß auf die Regierung zu sichern, alles auf, die wenigen den Hugenotten gemachten 
Zugeständnisse gänzlich zu vereiteln; dadurch wuchs die Erbitterung auf beiden Seiten, unb es beburfte 
nur einer geringen Veranlassung zum offenen Kampfe. Diese blieb nicht aus, unb baS sogenannte 
Blutbad von Vassy 1562 gab baS Zeichen zum Beginn ber acht Religionskriege, burch welche 
Frankreich in baS tiefste Elend gestürzt werden sollte. Gleich bei Beginn dieses mit den furchtbarsten. 
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