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ihr Haus aufnahm. Das machte seinen drückendsten Sorgen ein Ende,
und nun konnte er sich mit Eifer ungestört dem Studium ergeben. In
seinem 18. Lebensjahre bezog er 1501 die berühmte Universität Erfurt.
Er studierte die scholastische Philosophie, gegen die er jedoch bald einen
tiefen Widerwillen empfand, und hörte von den Klassikern besonders Cicero,
Vergil und Livius erklären. Im Jahre 1505 erhielt er die philosophische
Magisterwürde und beschäftigte sich nun nach dem Willen des Vaters, der
sich allmählich zu bürgerlichem Wohlstande aufgeschwungen hatte, mit dem
Studium der Rechte, da er auf diesem Wege zu den höchsten weltlichen
Ehren gelangen könne. Aber nun geriet Luther in mannigfache geistliche
Anfechtungen. Er besaß von Natur bei aller Heiterkeit seines Gemüts
ein lebhaftes Gefühl von seiner Sündhaftigkeit, dies übermannte ihn, nach-
dem er sich in das Studium der Bibel versenkt hatte, zuweilen so sehr,
daß er an Gott, an der Welt und an sich selbst verzweifelte. Um so
weniger war es ihm möglich, bei dieser Zerrissenheit des Gemüts der
Forderung des Vaters nachzukommen. Statt nach den Ehren der Welt
zu streben, wandte er sich ganz von ihr ab und trat (1505) zum Erstaunen
seiner Freunde und zum Mißfallen seines Vaters als Mönch in das
Augustinerkloster zu Erfurt ein. In der Erfüllung aller Vorschriften,
im Beten, Fasten, Bettelngehen und Kasteien, tat es ihm keiner seiner
Ordensbrüder gleich, den Frieden der Seele fand er aber dabei nicht. Erst
durch das unablässige Studium der heiligen Schrift und der Kirchenväter
gelangte er zu der Einsicht, „daß der Mensch gerecht werde ohne des Ge-
setzes Werk allein durch den Glauben" (Römer 3, 28). Dieses Wort
tröstete seine Seele, die sich nun im Frieden mit Gott wiederfand. Nicht
durch mönchische Werke hatte er Ruhe für seine Seele gefunden, sondern
dadurch, daß er die aus Gnaden angebotene Gerechtigkeit Christi ergriff,
die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. Damit war aber auch in
seinem Leben der verborgene Anfang der Reformation gemacht; denn nur
das, was er innerlich selbst erfahren hatte, hat er später, als der äußere
Anstoß dazu kam, nach außen hin wirksam werden lassen.
Zu dem Bewußtsein von der Bedeutung seiner eigenen Erfahrungen
kam Luther, der im Jahre 1507 die Priesterweihe erhalten hatte, erst in
Wittenberg. Hier hatte der Kurfürst Friedrich der Weise von
Sachsen die Universität Wittenberg gestiftet und den Generalvikar der
Augustinerklöster in Deutschland, Dr. Staupitz, beauftragt, für die
Universität einen tüchtigen und gelehrten Augustinermönch zum Professor
vorzuschlagen. Dr. Staupitz hatte den eigen gearteten Luther in seinen
Seelenkämpfen kennen und lieben gelernt und zeigte sich nun bestrebt, dessen