Full text: Deutsche Geschichte bis 1648 (Teil 2)

— 184 — 
Gemütstiefe und Gelehrsamkeit zum Wohle der studierenden Jugend zu 
verwenden. Er erreichte es, daß der Kurfürst im Jahre 1508 Luther als 
Professor nach Wittenberg berief. So trat Luther aus der Klosterzelle in 
das öffentliche Leben, doch nahm er auch in Wittenberg seine Wohnung 
in dem dortigen Augustinerkloster. Neben seinen Lehrstunden an der 
Universität wirkte er aber auch auf Betreiben seines Gönners Staupitz als 
Geistlicher. Er bestieg die Kanzel und war in kurzem der beliebteste 
Prediger der Stadt. Damit kam Luther in die ihm recht eigentlich zu- 
sagende Tätigkeit der Seelsorge, und er sammelte eine zahlreiche Gemeinde 
um sich, deren Seelenheil ihm Gewissenssache war. Allmählich erwarb er 
die höchsten gelehrten Auszeichnungen. Als er die in damaliger Zeit be- 
sonders angesehene Würde eines Doktors der heiligen Schrist erhielt 
(1512), schwur er, die Wahrheit des Evangeliums nach Kräften zu ver- 
teidigen. Bon nun an beschäftigte er sich eifrig mit dem Grundtexte der 
Bibel und vor allem mit dem Studium der Paulinischen Briefe; er wurde 
in dem Buch der Bücher heimisch wie kein anderer. Daneben pflegte er 
auch die humanistischen Studium und stand mit deren Vertretern in Ver¬ 
bindung. Dennoch würde er bei seiner großen Ehrfurcht vor dem Papst 
und der Kirche, wiewohl er mit eigenen Augen ihre tiefen Schäden bei 
einer Reife nach Rom (1511) in erschreckendster Gestalt wahrgenommen 
hatte, niemals zu einem öffentlichen Angriff auf die alten Einrichtungen 
übergegangen fein, wenn nicht ein himmelschreiender Mißbrauch ihn in 
seiner Eigenschaft als Seelsorger berührt hätte. 
b) Der Ablatzstreit. 
1. Luthers 95 Sätze gegen den Ablaß. Seit alter Zeit lehrte die 
Kirche, daß bei begangenen Sünden an Stelle der kirchlichen Strafen gute 
Werke, wie Almosen, Fasten, Wallfahrten, treten dürften. Später hatten 
die Päpste behauptet, die Heiligen hätten überflüssig viel gute Werke ver- 
richtet; so habe sich ein Schatz davon angesammelt, über den die Kirche 
ebenso wie über die unerschöpflichen Verdienste Christi zu Gunsten anderer 
zu verfügen hätte. Anfänglich war nun an diesen Ablaß, d. h. Erlaß, 
die Bedingung der Reue geknüpft worden; allmählich verkauften ihn aber 
die Päpste für Geld. Der Unfug steigerte sich nach und nach so weit, 
daß man um hohe Summen Vergebung für jede, selbst zukünftige Sünden 
kaufen konnte.1) Im Jahre 1517 nun schrieb der verschwenderische Papst 
Leo X. aus dem kunstsinnigen Hause der Medici einen allgemeinen Ab- 
laß aus, dessen Ertrag hauptsächlich für den Weiterbau der herrlichen 
x) Quellenstück: Mykonius und der Ablaßhändler Tetzel in Annaberg.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.