Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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sandigen Saumpfad durch das hohe Heidekraut und Gestrüpp, dies ist 
die Campagna des neuen Roms; so ist der Contrast der See⸗ und 
Landseite Constantinopels. 
Dicht unter dir freilich hast du das Getümmel im goldenen Horn, 
im Arsenal auf den Schiffswerften, auf der neuen Brücke und in 
Galata. Die Mannigfaltigkeit dieser Aussicht ist so groß, daß man 
tausende von Gegenständen achtlos übersieht, vor denen man an einem 
andern Orte staunend stehen bleiben würde. 
Mich interessiert diesmal nichts so sehr, als eine kleine schwarze 
Rauchwolke am blendenden Horizont des Propontis, die immer näher 
rückt und sich bald in ein breites Dampfschiff verwandelt. Die Wellen 
stiegen schäumend an seiner schwarzen Brust empor und flossen schnee— 
weiß zu beiden Seiten hinab, weithin einen Silberstreif auf die blaue 
Fläche zeichnend. Jetzt kämpfte das Pyroskaph mit der starken Ström— 
ung an der Spitze des Serajs, aber siegreich schoß es hinter den 
alten Mauern hervor, wendete in den Hafen herum, und mit langan— 
haltendem Gerassel sank der Anker auf den tiefen Grund herab. 
Moltke. 
65. Die Wohnweise der Völker. 
Bei den Kulturvölkern der Gegenwart verlieren Wohnungen, 
Volks- und Familienfeste, überhaupt Sitten und Gebräuche mit jedem 
neuen Jahre etwas vom eigentümlich Nationalen. Die ganze Lebens⸗ 
einrichtung und Gewöhnung streift auch immer mehr von den Formen 
und Bildungsstufen ab, durch welche sonst Beruf und Ansichten der 
verschiedenen Klassen einen festen äußern Ausdruck, Schule und Ent— 
wickelung der Einzelnen aber einen sicheren, normalen Gang erhielten. 
Am deutlichsten zeigt sich diese Strömung der Zeit in der Haus⸗ 
einrichtung. Von da aus greift das allmähliche Gleichwerden und 
Ausgleichen der Völkersitten und Berufsklassen am tiefsten und nach⸗ 
haltigsten um sich. Im festen Wohnhause, welches die Geschlechter 
uüͤberdauert, mußte sich Klima, Beschäftigung, Denkungsart, Sinn und 
Sein der Menschen ausdrücken. Hat das Leben des Einzelnen einen 
bestimmten Bildungsgang, das Leben des Volkes ein festes Gepräge, 
so wird demgemäß auch das Haus eingerichtet sein, und jeder Teil in 
demselben seine unwandelbare Bestimmung haben. Das folgende 
Geschlecht wird dann von Kindesbeinen an in die Sitten der Vorfahren 
eingewöhnt, seine Ideen und Sinnesart formen sich gleichsam nach den 
Räumen und regelmäßigen Vorkommnissen, in denen es aufwächst, das 
nationale Leben wird fozusagen an der Hauseinrichtung des Volkes 
steif und straff. Wenn daher in diese etwas Schwankendes und 
Unsicheres kommt, so ist das jedesmal ein gewisses Zeichen, daß das 
Volk selbst in einer Umbildung begriffen ist.
	        
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