Full text: Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

- 110 - 
bringen. Die Kaiserkrone erschien ihm im Lichte eines übertragenen modernen 
Amtes, dessen Autorität von Friedrich dem Großen bekämpft war, den Großen 
Kurfürsten bedrückt hatte. Bei den ersten Erörterungen sagte er: „Was soll mir 
der Charakter-Major?" worauf ich unter anderem erwiderte: „Eure Majestät 
wollen doch nicht ewig ein Neutrum bleiben, das „Präsidium"? In dem Aus- 
drucke „Präsidium" liegt eine Abstraktion, in dem Worte „Kaiser" eine große 
Schwungkraft 
Außer den bayerischen Unterhändlern befand sich in Versailles als. besonderer 
Vertrauensmann des Königs Ludwig der ihm als Oberststallmeister persönlich nahe- 
stehende Graf Holnstein. Der'elbe übernahm auf meine Bitte in dem Augen- 
blick, wo die Kaiserfrage kritisch war und an dem Schweigen Bayerns und der Ab«, 
neigung König Wilhelms zu scheitern drohte, die Überbringung eines Schreibens 
von mir an seinen Herrn, das ich, um die Beförderung nicht zu verzögern, sofort 
an einem abgedeckten Ecktisch auf durchschlagendem Papier und mit widerstrebender 
Tinte schrieb. Ich entwickelte darin den Gedanken, daß die bayerische Krone die 
Präsidialrechte, für die die bayerische Zustimmung geschäftlich bereits vorlag, dem 
Könige von Preußen ohne Verstimmung des bayerischen Selbstgefühls nicht werde 
einräumen können; der König von Preußen sei ein Nachbar des Königs von 
Bayern, und bei der Verschiedenheit der Stammesbeziehungen werde die Kritik 
über die Konzessionen, welche Bayern mache und gemacht habe, schärfer und für 
die Rivalitäten der deutschen Stämme empfindlicher werden. Preußische Autorität, 
innerhalb der Grenzen Bayerns ausgeübt, sei neu und werde die bayerische 
Empfindung verletzen; ein deutscher Kaiser aber sei nicht der im Stamme ver- 
schiedene Nachbar Bayerns, sondern der Landsmann; meines Erachtens könne der 
König Ludwig die von ihm der Autorität des Präsidiums bereits gemachten 
Konzessionen schicklicherweise nur einem deutschen Kaiser, nicht einem König von 
Preußen machen1) . . . Der Graf trat feine Reise nach Hohenschwangau binnen 
zwei Stunden, am 27. November, an und legte sie unter großen Schwierigkeiten 
und mit häufiger Unterbrechung in vier Tagen zurück. Der König war wegen eines 
Zahnleidens bettlägerig, lehnte zuerst ab, ihn zu empfangen, nahm ihn aber an, 
nachdem er vernommen hatte, daß der Graf in meinem Auftrage und mit einem 
Briefe von mir komme. Er hat darauf im Bett mein Schreiben in Gegenwart 
des Grafen zweimal sorgfältig durchgelesen, Schreibzeug gefordert und das von 
mir erbetene und im Konzept entworfene2) Schreiben an den König Wilhelm zu 
Papier gebracht3). Darin war das Hauptargument für den KaifertM mit der An¬ 
deutung wiedergegeben, daß Bayern die zugesagten, aber noch nicht ratifizierten 
Konzessionen nur dem deutschen Kaiser, aber nicht dem König von Preußen 
x) In dem Briefe heißt es: „In der deutschen Kaiserfrage habe ich mir erlaubt, dem 
Grafen Holnstein einen kurzen Entwurf vorzulegen, welchem der Gedankengang zugrunde 
liegt, der meinem Gefühl nach die deutschen Stämme bewegt: der deutsche Kaiser ist 
ihrer aller Landsmann, der König von Preußen ein Nachbar, dem unter diesem Namen 
Rechte, die ihre Grundlage nur in der freiwilligen Übertragung durch die deutschen 
Fürsten und Stämme finden, nicht zustehe. Ich glaube, daß der deutsche Titel für das 
Präsidium die Zulassung desselben erleichtert, und die Geschichte lehrt, daß die großen 
Fürstenhäuser Deutschlands, Preußen eingeschlossen, die Existenz des von ihnen gewählten 
Kaisers niemals als eine Beeinträchtigung ihrer eigenen europäischen Stellung empfunden 
haben." (Bismarcks Ged. u. Er. Bd. 1. S. 353 und 354.) 
2) Vgl. S. 108 Anm. 
3) Nämlich den Brief unter Nr. 64. Quelle 1. -
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.