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bringen. Die Kaiserkrone erschien ihm im Lichte eines übertragenen modernen
Amtes, dessen Autorität von Friedrich dem Großen bekämpft war, den Großen
Kurfürsten bedrückt hatte. Bei den ersten Erörterungen sagte er: „Was soll mir
der Charakter-Major?" worauf ich unter anderem erwiderte: „Eure Majestät
wollen doch nicht ewig ein Neutrum bleiben, das „Präsidium"? In dem Aus-
drucke „Präsidium" liegt eine Abstraktion, in dem Worte „Kaiser" eine große
Schwungkraft
Außer den bayerischen Unterhändlern befand sich in Versailles als. besonderer
Vertrauensmann des Königs Ludwig der ihm als Oberststallmeister persönlich nahe-
stehende Graf Holnstein. Der'elbe übernahm auf meine Bitte in dem Augen-
blick, wo die Kaiserfrage kritisch war und an dem Schweigen Bayerns und der Ab«,
neigung König Wilhelms zu scheitern drohte, die Überbringung eines Schreibens
von mir an seinen Herrn, das ich, um die Beförderung nicht zu verzögern, sofort
an einem abgedeckten Ecktisch auf durchschlagendem Papier und mit widerstrebender
Tinte schrieb. Ich entwickelte darin den Gedanken, daß die bayerische Krone die
Präsidialrechte, für die die bayerische Zustimmung geschäftlich bereits vorlag, dem
Könige von Preußen ohne Verstimmung des bayerischen Selbstgefühls nicht werde
einräumen können; der König von Preußen sei ein Nachbar des Königs von
Bayern, und bei der Verschiedenheit der Stammesbeziehungen werde die Kritik
über die Konzessionen, welche Bayern mache und gemacht habe, schärfer und für
die Rivalitäten der deutschen Stämme empfindlicher werden. Preußische Autorität,
innerhalb der Grenzen Bayerns ausgeübt, sei neu und werde die bayerische
Empfindung verletzen; ein deutscher Kaiser aber sei nicht der im Stamme ver-
schiedene Nachbar Bayerns, sondern der Landsmann; meines Erachtens könne der
König Ludwig die von ihm der Autorität des Präsidiums bereits gemachten
Konzessionen schicklicherweise nur einem deutschen Kaiser, nicht einem König von
Preußen machen1) . . . Der Graf trat feine Reise nach Hohenschwangau binnen
zwei Stunden, am 27. November, an und legte sie unter großen Schwierigkeiten
und mit häufiger Unterbrechung in vier Tagen zurück. Der König war wegen eines
Zahnleidens bettlägerig, lehnte zuerst ab, ihn zu empfangen, nahm ihn aber an,
nachdem er vernommen hatte, daß der Graf in meinem Auftrage und mit einem
Briefe von mir komme. Er hat darauf im Bett mein Schreiben in Gegenwart
des Grafen zweimal sorgfältig durchgelesen, Schreibzeug gefordert und das von
mir erbetene und im Konzept entworfene2) Schreiben an den König Wilhelm zu
Papier gebracht3). Darin war das Hauptargument für den KaifertM mit der An¬
deutung wiedergegeben, daß Bayern die zugesagten, aber noch nicht ratifizierten
Konzessionen nur dem deutschen Kaiser, aber nicht dem König von Preußen
x) In dem Briefe heißt es: „In der deutschen Kaiserfrage habe ich mir erlaubt, dem
Grafen Holnstein einen kurzen Entwurf vorzulegen, welchem der Gedankengang zugrunde
liegt, der meinem Gefühl nach die deutschen Stämme bewegt: der deutsche Kaiser ist
ihrer aller Landsmann, der König von Preußen ein Nachbar, dem unter diesem Namen
Rechte, die ihre Grundlage nur in der freiwilligen Übertragung durch die deutschen
Fürsten und Stämme finden, nicht zustehe. Ich glaube, daß der deutsche Titel für das
Präsidium die Zulassung desselben erleichtert, und die Geschichte lehrt, daß die großen
Fürstenhäuser Deutschlands, Preußen eingeschlossen, die Existenz des von ihnen gewählten
Kaisers niemals als eine Beeinträchtigung ihrer eigenen europäischen Stellung empfunden
haben." (Bismarcks Ged. u. Er. Bd. 1. S. 353 und 354.)
2) Vgl. S. 108 Anm.
3) Nämlich den Brief unter Nr. 64. Quelle 1. -