Full text: Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

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Rührend ist das Verhältnis zwischen Hindenburg und seinem Generalstabschef. 
Nur der Tod kann ihren Treubund lösen. Es ist oft gefragt worden, ob der 
Feldmarschall oder der Generalstabschef die Operationen plant; aber man kann 
überzeugt sein, daß die beiden sich ergänzen. Doch trägt der Feldherr allein die 
Bürde der Verantwortung. Der Oberbefehlshaber und fein Generalstabschef sind 
so nicht nur durch die Bande der Freundschaft, sondern auch durch die gemein- 
same fruchtbringende Arbeit untrennbar verbunden. Wenn man die beiden 
Generale sich unterhalten sieht, hat man ein Gefühl von unbezwinglicher über¬ 
wältigender Kraft. Der „Feldherr der Zukunft" ist der Name, den der Feld- 
Marschall seinem Ludendorff gegeben hat, und was dieser von seinem Vorgesetzten 
denkt, das ist an der Ostfront allen wohlbekannt. Die Worte, die Prinz Joachim 
einmal dem Schwiegersohn Hindenburgs schrieb, können als Ausdruck der Gefühle 
dienen, die das ganze Heer für den Sieger von Tannenberg hat: „Sie wissen, 
ich bin kein Schuster; aber für Hindenburg lasse ich mich gerne totschlagen!" 
Im Sommer 1914 stattete der General seinem Schwiegersohn auf seinem 
Gute Großjustin bei Cammin in Pommern einen längeren Besuch ab, wie in 
jedem Sommer 
Hier war es auch, wo er am 31. Juli 1914 die Nachricht vom verschärften 
Kriegszustand erhielt. Voller Stolz und Siegesgewißheit verschlang er die folgen- 
schweren Telegramme dieser denkwürdigen Tage, als das Geschick der Welt an 
einem Haar hing, das zerriß. Aber es schmerzte ihn auch tief, nun nicht mehr auf 
ein Kommando Anspruch erheben zu können. Seine Zeit war ja schon vorbei. 
Er gehörte zu der Generation, die dahinging. Jüngere Kräfte sollten nun zur 
Verteidigung des Vaterlandes vorrücken. 
Er hatte jedoch nicht die Ruhe, in einer solchen Zeit auf dem Lande zu 
bleiben, sondern begab sich sofort nach Hannover, um bei der Hand zu sein, wenn 
doch vielleicht ein Ruf auch zu ihm gelangen sollte. Am Tag darauf, am 31. Juli, 
trat Bahnsperre ein; er kehrte also im letzten Augenblick nach Hause zurück. 
Hier verfolgte er die Ereignisse mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit. Auf 
seinen Karten zeichnete er den Gang der russischen Invasion in Ostpreußen ein 
und wußte jeden Tag, was er getan haben würde, wenn ihm die Verteidigung 
des nordöstlichen Grenzlandes anvertraut gewesen wäre. 
So über seine Karten gebeugt, fand ihn.am 21. August sein Diener, der ihm 
ein Telegramm hereinbrachte. Er öffnete es und las, daß „Seine Majestät der 
Kaiser ihm unter gleichzeitiger Ernennung zum Generalobersten und unter gleich¬ 
zeitiger RückPatentierung ein ihn ehrendes Kommando anvertraut habe." 
Man wird seine Gefühle verstehen und begreifen, daß er mit einem Male 
zehn Jahre jünger wurde, und um nochmal zehn Jahre wurde gewiß seine Ar- 
beitskrast verjüngt, als ihm bald darauf ein neues Telegramm meldete, daß gegen 
Abend ein Extrazug ihn nach Osten führen solle, und daß er in diesem Zug seinen 
Generalstabschef Ludendorsf finden werde! Das war am Abend des 22. August. 
Fünf Tage später begann die Schlacht bei Tannenberg, die Hindenburg in die 
erste Reihe der deutschen Heerführer während des großen Krieges stellte und 
seinen Namen unsterblich machte.
	        
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