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Dies hohe Vermächtnis meiner Ahnen, welches sie in unablässiger Sorge,
mit ihrer besten Kraft, mit Einsetzung ihres Lebens gegründet und gemehrt
haben, will ich getreulich wahren. Mt Stolz sehe ich mich von einem so treuen
und tapferen Volke, von einem so ruhmreichen Heere umgeben.
Meine Hand soll das Wohl und das Recht aller in allen Schichten
der Bevölkerung hüten, sie soll schützend und fördernd über diesem
reichen Leben walten. Es ist Preußens Bestimmung nicht, dem Genüsse der
erworbenen Güter zu leben. In der Anspannung seiner geistigen und sittlichen
Kräfte, in dem Ernste und der Aufrichtigkeit seiner religiösen Gesinnung, in der
Bereinigung von Gehorsam und Freiheit, in der Stärkung seiner Wehrkraft
liegen die Bedingungen seiner Macht; nur so vermag es seinen Rang unter den
Staaten Europas zu behaupten.
Ich halte fest an den Traditionen meines Hauses, wenn ich den Vater-
ländischen Geist meines Volkes zu heben und zu stärken mir vorsetze. Ich will
das Recht des Staates nach seiner geschichtlichen Bedeutung befestigen und aus-
bauen und die Institutionen, welche König Friedrich Wilhelm IV. ins Leben
gerufen hat, aufrecht erhalten. Treu dem Eide, mit dem ich die Regent-
schaft übernahm, werde ich die Verfassung und die Gesetze des König-
reichs schirmen. Möge es mir unter Gottes gnädigem Beistande gelingen,
Preußen zu neuen Ehren zu führen!
Meine Pflichten für Preußen fallen mit meinen Pflichten für Deutschland
zusammen. Als deutschem Fürst liegt mir ob, Preußen in der Stellung zu kräs-
tigen, welche es vermöge seiner ruhmvollen Geschichte, seiner entwickelten Heeres-
Organisation unter den deutschen Staaten zum Heile aller einnehmen muß.
Das Vertrauen auf die Ruhe Europas ist erschüttert. Ich werde mich be-
mühen, die Segnungen des Friedens zu erhalten. Dennoch können Gefahren für
Preußen und Deutschland heraufziehen. Möge dann jener Gott vertrauende Mut,
welcher Preußen in seinen großen Zeiten beseelte, sich an mir und an meinem Volke
bewähren und dasselbe mir auf meinen Wegen in Treue, Gehorsam und Aus-
dauer fest zur Seite stehen! Möge Gottes Segen aus den Aufgaben ruhen,
welche sein Ratschluß mir übergeben hat.
Berlin am 7. Januar 1861. Wilhelm.
27.
Die Heeresreorganisation — des Königs „eigenstes Werk".
.1862.
Quelle: Ansprache des Königs an verschiedene Abordnungen am
21. Oktober 1862.
Fundort: L. Hahn a. a. O. S. 124.
Es ist sehr schmerzlich für einen Monarchen, seine besten Absichten verkannt
und entstellt zu sehen, wie ich das leider jetzt so vielfach erfahren habe. Bei
solchen Anfechtungen ist es schwer, nicht irre zu werden, sondern fest zu stehen.
Was die Militär-Reorganisation betrifft, so ist diese mein eigenstes Werk
und mein Stolz, und ich bemerke hierbei, es gibt kein Boninsches^) und kein
Roonsches Projekt; es ist mein eigenes, und ich habe daran gearbeitet nach
*) Eduard von Bonin war preußischer Kriegsminister von 1852—1854 und 1858 und 1859.