Full text: Deutsche Geschichte bis 1648 (Teil 1)

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Sie glauben, es sei ein Zeichen männlicher Tatkraft, wenn die Nachbarn, 
vertrieben von ihren Äckern, in die Ferne zögen, und niemand in ihrer Nähe 
sich anzusiedeln wage. Zugleich glauben sie durch eine solche Maßregel ge¬ 
sicherter und von der Furcht eines plötzlichen Überfalles befreit zu sein. 
Rüstet sich eine Völkerschaft zum Angriff oder zur Abwehr, dann wählt 
sie einen Herzog, der den Krieg leiten soll. In seiner Hand liegt die 
Gewalt über Leben und Tod. Im Frieden dagegen hat sie kein gemein- 
sames Oberhaupt, sondern die Fürsten der Landschaften und Gaue sprechen 
unter den Ihrigen Recht und schlichten den Zwist. 
Kein Makel haftet dem Raube an, sobald er außerhalb der Grenzen 
der Völkerschaft vollführt wird. Durch ihn, glauben sie, werde die junge 
Mannschaft geübt, der Müßiggang aber gemindert. Und sobald einer von 
den Fürsten in öffentlicher Versammlung erklärt, daß er die Führung über¬ 
nehmen wolle: es möchten die sich melden, die ihm zu folgen gedächten, 
erheben die sich, die mit der Sache und mit dem Manne einverstanden sind, 
und versprechen ihren Beistand. Lob wird ihnen von der Menge zu teil. 
Wer aber von diesen dann nicht folgt, der wird als ein Ausreißer und 
Verräter behandelt, und jedes Vertrauen wird ihm fernerhin entzogen. 
An dem Gastfreunde sich vergreifen, dünkt sie Frevel. Wer aus irgend 
einem Grunde zu ihnen kommt, den schützen sie vor Unbill und halten ihn 
für unverletzlich. Alle Häuser stehen ihm offen, und der Lebensunterhalt 
wird mit ihm geteilt. 
Ein Stamm hat die fruchtbaren Gaue beim Hercyner-Walde (das 
deutsche Mittel-Gebirge) in Germanien besetzt und sich da angesiedelt. Wer 
ein guter Fußgänger ist, durchläuft den her ethnischen Wald der Breite nach 
in 9 Tagen. Es giebt in diesem Walde, wie bekannt, viele Tiere, die 
man sonst nirgends antrifft. Die ausgezeichnetsten und merkwürdigsten sind 
etwa folgende. Ein großes Tier, ein Hirsch von Gestalt, mit einem Hörne 
zwischen den Ohren mitten auf der Stinte, das großer und gestreckter ist, 
als die uns bekannten Geweihe. An der Krone teilen sich Enden, wie 
Palmenzweige, sehr breit auseinander. Ferner das Elentier, der Gestalt 
und den bunten Flecken nach einem Rehe gleich, doch etwas größer und 
ohne Hörner. Die dritte Gattung sind die Auerochsen, wie man sie 
nennt, etwas kleiner als Elefanten, an Gestalt, Farbe und Körperbau wie 
Stiere. Ihre Stärke ist eben so groß als ihre Geschwindigkeit. Sie schonen 
nichts, was sie erblicken, weder Menschen noch Tiere. Man fängt sie eifrig 
in Gruben und tötet sie. Mit dieser Arbeit härtet sich die Jugend ab und 
beschäftigt sich mit Jagden solcher Art. Wer die meisten Tiere erlegt hat 
und zum Beweise davon die Hörner vor dem Volke zeigt, erhält großes Lob. 
Das Tier läßt sich, selbst jung gefangen, doch nicht an Menschen gewöhnen 
und zahm machen. Seine Horner sind viel größer, auch anders geformt 
und gestaltet als bei unfern Ochsen. Man sucht sie sorgfältig, faßt den 
Rand mit Silber ein und gebraucht sie auf vornehmen Tafeln als Pokale. 
Der Stamm der Sueven ist der bei weitem größte und kriegslustigste 
von allen Germanen. Hundert Gaue soll er zählen, und aus jedem ziehen 
jährlich tausend Krieger zum Kampfe über die Grenze. Die übrigen, die 
zu Hause bleiben, erwerben für sich und jene die Nahrungsmittel. Im fol¬ 
genden Jahre stehen diese zur Abwechselung unter den Waffen und bleiben
	        
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