Full text: Quellen-Lesebuch für den Unterricht in der vaterländischen Geschichte

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fidj nicht. Schon die halbe Nacht lag er da. Gegen Morgen fuhr ein 
Fuhrmann auf der Straße daher, und weil der Spitz eifrig bellte, 
stieg der Fuhrmann vom Wagen und fand den bewußtlosen Mann 
im Straßengraben neben dem Kornacker. Er kannte ihn nicht. Er 
griff in seine Taschen und fand, daß er noch Geld bei sich trug. 
Beraubt war er also nicht. So legte er ihn auf den Wagen, wo der 
Mann seinen totähnlichen Schlaf weiterschlief, und brachte ihn nach 
Kipfenberg. Dort traf er Leute, die den Bewußtlosen erkannten. Der 
Mann hieß Leonhard Kollmann und war aus Zandt. Der Bader 
verstopfte die tiefe Wunde mit einem Pflaster; aber er konnte das 
Loch, aus dem die Seele herausfliegen wollte, nicht mehr verstopfen. 
Doch konnte der Sterbende in seinem schweren Krankenbett, in dem 
er bis zum Skelett abmagerte, noch sagen, daß Ulrich Rechner von 
Pütz ihm aus alter Feindschaft auf der Straße aufgelauert und ihn 
halb totgeschlagen habe. 
Wie nun seine Verwandten, der Kunz Jagel von Breitenhill und 
der kleine Krämer und Leonhard Walter von Denkendorf zu Eich¬ 
stätt vors bischöfliche Gericht kamen und klagten, da war auch der 
Rechner da in Ketten und Handschellen. Und wie er hörte, daß es 
um Totschlag gehe und vielleicht an Kopf und Kragen, da bat er 
die Verwandten, sie möchten Mitleid haben mit seinem Weib und 
seinen Kindern. Und da nun auch der Richter zum Guten redete, 
so verglichen sie sich miteinander. Rechner versprach, er wolle den 
Kindern des Toten 45 Gulden Strafe zahlen, jedes Quartal 15 Gul¬ 
den. Und zum Trost und zur Hilfe für die arme Seele wolle er zu 
Kipfenberg in der Pfarrkirche an drei Tagen dreißig Seelenmessen 
halten lassen und Wachskerzen dazu brennen. Auch alle Kosten will 
er zahlen, die zu Kipfenberg entstanden find während der Krankheit, 
den Bader, das Begräbnis und den Totengräber. Einen ewigen Jahr¬ 
tag will er stiften zu Kipfenberg in der Pfarrkirche. Und zur Er¬ 
innerung an den seligen Kollmann will er ein steinernes Kreuz machen 
und bei Denkendorf fetzen lassen, sieben Schuh hoch. Und alle Feind¬ 
schaft soll von nun an aus sein. Sie reichten sich die Hände, und 
der Schreiber schrieb den Brief und der Richter hing das Siegel 
dran. Alle, die dabei waren, sind längst tot, von ihrem Gebein ist 
kein Stäublein mehr da und das Steinkreuz hat sie alle überdauert.
	        
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