Full text: Die neue und neueste Zeit von 1648 bis jetzt (Teil 3)

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Kriegsstärke ihr noch überlegen sei. Und so stärkte Kaiser Wilhelm die 
Kriegsmacht des deutschen Reiches zu Lande und zu Wasser, indem die 
Friedensstärke des Heeres erhöht, und die Dienstzeit der Landwehr 
sowie des Landsturms verlängert wurde. 
Ein großer Anteil an der Erhaltung des europäischen Friedens ist 
der Freundschaft zuzuschreiben, die den Kaiser Wilhelm mit den Fürsten 
Europas verband. So war es ihm auch gelungen, mit dem Kaiser Franz 
Joseph von Österreich und dem Kaiser Alexander II. von Rußland, die er 
im Jahre 1872 als seine Gäste in Berlin begrüßte, das Dreikaiser- 
bündnis zu schließen, wodurch in den nächsten Jahren die Kriegsgelüste 
Frankreichs zurückgedrängt wurden. Leider erwies sich Rußlands Freund- 
schast auf die Dauer nicht stichhaltig. Es hatte nach Beendigung des 
russisch-türkischen Krieges von 1877—1878*) der von ihm bezwungenen 
Türkei so harte Bedingungen auferlegt, daß ein europäischer Krieg aus- 
gebrochen wäre, wenn es nicht dem staatsmännischen Geschick des Fürsten 
Bismarck auf dem Berliner Kongreß (1878) gelungen wäre, die russi- 
schen Forderungen zu mildern. Rußland grollte aber fortan mit Deutsch- 
land, namentlich seit Alexander III. seinem durch die Nihilisten ermordeten 
Vater gefolgt war, und näherte sich Frankreich, wogegen Fürst Bismarck 
es durchsetzte, daß Kaiser Wilhelm im Jahre 1879 mit Österreich ein 
Schutz- und Trutzbündnis gegen etwaige Angriffe Rußlands schloß. 
Diesem „Zweibund" hat sich dann im Jahre 1887 auch Italien ange¬ 
schlossen, und seitdem ist der „Dreibund" der starke Hort des euro- 
päischen Friedens. 
Einigung und innerer Ausbau des Reiches. Das unter Wilhelm I. 
neu erstandene deutsche Reich zählt etwa 50 Millionen Einwohner und 
umsaßt 26 Staaten: nämlich zunächst die Länder und freien Städte, die 
schon zum norddeutschen Bunde gehörten, außerdem auch Bayern, Würt¬ 
temberg, Baden, Hessen-Darmstadt und Elsaß-Lothringen. Dieses ist keinem 
deutschen Einzelstaate einverleibt, sondern steht unmittelbar unter dem 
Kaiser, der es durch einen von ihm ernannten Statthalter verwalten läßt. 
Durch den ersten nach allgemeinem direktem Stimmrecht gewählten deutschen 
Reichstag wurde eine Verfassung genehmigt, wonach die Einzelstaaten in 
ihrer Eigenart unangetastet blieben. Das Reich bildet demnach nicht einen 
Staat, sondern einen unauflöslichen Bund, an dessen Spitze der Kaiser 
steht. Dieser vertritt das Reich den fremden Völkern gegenüber, schließt 
Bündnisse mit ihnen und ist der oberste Kriegsherr. 
x) Die Thronrede Kaiser Wilhelms I. an den ersten deutschen Reichstag am 
21. März 1871.
	        
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