Full text: Geschichte der Neuzeit von 1786 bis 1900 (Teil 6)

§ 26. Der Krieg von 1870 und die Errichtung des neuen Deutschen Reiches. 117 
König Viktor Emanuel heranziehen ließ. Das französische Heerwesen hatte 
der Kaiser seit 1866 durch Marschall Niel gründlich erneuern lassen: zu 
dem stehenden Heere von 400 000 Mann trat eine Reserve von 420000 Mann 
und eine mobile Nationalgarde (Landwehr) von 400 000 Mann. Der Ver 
such jedoch, durch eine liberale Änderung der Verfassung, die von einem 
„Plebiszit" in üblicher Weise gutgeheißen wurde, und durch ein liberales 
Ministerium (Ollivier) der Dynastie einen Rückhalt beim Volk zu geben, er- 
wies sich bald als verfehlt. 
Nachdem die Spanier 1868 die bigotte, lasterhafte, einem klerikalen 
Despotismus zuneigende Königin Jsabella vertrieben hatten, trugen 
sie 1870 dem Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen Die Thron- 
die Krone an. Der Prinz war zur Annahme bereit und König Wilhelm Leopolds^,, 
als Familienoberhaupt erhob keinen Einspruch. Die französische Regierung H°henzollern, 
benutzte diese Angelegenheit, um das Volk und seine Vertreter gegen 
Preußen aufzuregen, indem der Herzog von Gramont, Minister des 
Äußern, in der Kammer von einer Wiedererrichtung der Monarchie 
Karls V. sprach, die die Ehre und die Interessen Frankreichs verletze. 
Als nun der Fürst von Hohenzollern namens seines Sohnes, um alle 
politischen Verwicklungen zu vermeiden, auf die Thronkandidatur ver- 
zichtete, stellte die französische Regierung durch ihren Botschafter Bene- 
detti an König Wilhelm I., der sich damals zur Knr in Ems Die Vorgänge 
(a. d. Lahn) aufhielt, wiederholt das unverschämte Verlangen, er solle m 
in einem Briefe an Napoleon HI. versprechen, einer solchen Thron- 
kandidatur nie wieder zustimmen zu wollen. Dies lehnte der König 
entschieden ab und verwies zuletzt den zudringlichen Botschafter an seine 
Regierung in Berlin. Den Bericht über diese Vorgänge zog Bismarck 
in eine kurze, den Tatsachen genau entsprechende Depesche zusammen, 
die er an alle preußischen Gesandten schickte und in den Zeitungen am 
14. Juli veröffentlichte. Während in Frankreich unwahre Berichte das 
Volk in einen Taumel der Kriegswut versetzten, scharte sich das deutsche 
Volk in Heller Begeisterung um sein verehrtes, von französischem Ubermut 
verletztes greises Oberhaupt. Am 16. Juli wurde die Mobilmachung Frankreichs 
des deutschen Heeres verfügt. Am 19., wo Frankreich an Deutschland i8703 
den Krieg erklärte, erneuerte der König das Eiserne Kreuz. Zum 
Reichstaae sprach er an demselben Tage in seiner Thronrede: 
„Hat Deutschland derartige Vergewaltigungen seines Rechts 
seiner Ehre in früheren Jahrhunderten schweigend getragen, so trug es vom 19 Juli 
sie nur, weil es in seiner Zerrissenheit nicht wußte, wie stark es war. 
Heut, wo das Band geistiger und rechtlicher Einigung, welches die 
Befreiungskriege zu knüpfen begannen, die deutschen Stämme je langer, 
desto inniger verbindet; heut, wo Deutschlands Mstnng dem Fe.nde 
keine Öffnung mehr bietet, trägt Dentschland m stch selbst den Willen 
und die Kraft der Abwehr erneuter französischer Gewalttat.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.