Die Kreuzzüge nach ihren Ursachen, Mißerfolgen und Wirkungen 187
teuerlustigen Herren und Knechten nichts sein als ein Kreuzzug in die
weite, ungewisse Ferne. Lud nun doch die Kirche selbst dazu ein, und
Gott selbst wollte es so.
d) Der Egoismus der menschlichen Natur, der selbst¬
süchtige Interessen verfolgt und selbst da persönliche Vorteile zu erringen
hofft, wo Göttliches und Heiliges jeglichen Eigennutz ausschließen sollte,
hat auch der Kreuzzugsbeweguug dienen müssen. Fast jedem Stande er¬
wuchsen Vorteile aus den gewaltigen Zügen der Völker in das Morgen-
land. In der Beschaffenheit des Lehnswesens damaliger Zeit liegt es
begründet, daß Lehnsherr und Vasall ihren Vorteil fanden, wenn der eine
oder der andere das Kreuz nahm. Noch waren die Vasallen nicht unab¬
hängig von ihren Lehnsherrn; noch hatten sie nicht das Vererbungsrecht
ihrer Lehnsgüter. War aber der Herr fern von der Heimat, dem un¬
gewissen Schicksal überlassen, dann bot sich ihnen die Gelegenheit, sich zu
freien Herrn ihres Lehens zu machen. Andrerseits mußten die Lehns¬
herrn die Kreuzzüge begünstigen; denn auf diese Weise konnten sie von
lästigen Vasallen befreit werden. Daß die Geistlichkeit die Bewegung, so¬
viel sie konnte, förderte, ist natürlich, da sie so ein Mittel hatte, ihre
Herrschaft zu größerer Macht zu erweitern. Ihre Autorität mußte wachsen,
wenn es ihr gelang, immer neue Scharen in das heilige Land zu senden,
und ihr Besitz mußte sich mehren, wenn die kampfeslustigen Pilger Geld
und Gut der Kirche in Gewahrsam gaben, die ihrerseits die freie Ver¬
fügung über dasselbe behielt und es als Eigentum ansah, wenn der Be¬
sitzer nicht zurückkehrte.
Die Aussicht auf Ruhm bewog Könige und Fürsten, sich an die
Spitze der Heere zu stellen; die Hoffnung, Reichtümer zu erwerben lockte
manchen Kaufmann in das Morgenland; Abenteurer und Räuber trieb die
Beutelust, sich dem Zuge anzuschließen. Gesindel, Männer und Weiber,
die einen unehrlichen Beruf ausübten, fanden im großen Pilgerhaufen am
besten Gelegenheit, ihr unsauberes Handwerk zu treiben. Wer angeklagt
oder wegen eines Verbrechens verfolgt wurde, entging als Kreuzfahrer
aller Gefahr und der Strafe, und wer von seinen Gläubigern bedrängt
wurde, konnte sich nicht besser von ihnen befreien, als wenn er das Kreuz
nahm. Den Unfreien und Hörigen, die unter dem Drucke ihrer Herrn in
der Knechtschaft litten, winkte im Kreuzheere die Freiheit. Das sind die
Ursachen, die an der unvergleichlichen Völkerbewegung mitwirkten. Die
Predigt von der Bedrohung der Christen im heiligen Lande, von der
Eroberung der heiligen Stadt Jerusalem durch die Türken hätte niemals
die zweihundert Jahre währende Begeisterung für den schweren Kampf
hervorrufen können, wenn nicht die vorher dargestellten Umstände mit¬
gewirkt hätten.