Aus der höfischen Zeit.
125
und empfing ihn wohlbehalten am anderen User. Nachdem er dort das
Mahl eingenommen und nach den unendlichen und unerträglichen Mühen,
welche er schon einen Monat lang erlitten hatte, in diesem Gewässer baden
und so durch Schwimmen sich erfrischen wollte, sank er nach Gottes Ratschluß
unter in bejammernswertem und unvermutetem Tode. Seine Uberreste
tragen wir noch mit uns in schuldiger Ehrfurcht. Und wir gelangten nach
der hochberühmten Stadt Tnrsoch (Tarsus) und werden von da nach An-
tiochia marschieren, und wir haben eine schreckliche Plünderung unseres
Gepäcks erduldet und beständig sechs Wochen hindurch gelitten durch Mangel
an Lebensmitteln, weil wir nichts zu kaufen fanden.
Dies, obwohl wenig, haben wir Euch von unseren vielen Gefahren
geschrieben, im übrigen Trost von der Barmherzigkeit Gottes erwartend.
36. Aus der höfischen Zeit.
a. Die Ritterpflichten. Aus dem Winsbele. In diesem mittelhochdeutschen Ge-
dicht aus der Mitte des 13. Jahrhunderts gibt ein weiser Mann seinem Sohne, einem
jungen Ritter, Lehren, welche die hohen Pflichten seines Standes enthalten. — Der Anfang
mittelhochdeutsch (Heinrich Kurz, Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig, Teubner.
6. Aufl. 1873. S. 171), das übrige in Prosaübertragung.
»Sun, inneclichen minne Got,
so kan dir niemer missegän,
Er hilfet dir üz aller not;
nu sich der weite goukel an,
Wie si ir volgaere triegen kan,
unt was ir Ion ze jungest si,
daz soltu sinnecliche entstän:
si git ze löne sunden lot;
swer ir nach willen volgen wil,
deist Ildes und der sele tot.«
Sohn, merke, wie die brennende Kerze dahinschwindet, ebenso geschieht
dir, glaube mir, von Tag zu Tag; ich sage dir die Wahrheit. Das bedenke
in deinem Sinne und richte dein Leben also ein, daß dort die Seele wohl
fahre. Wie Hoch auch durch Reichtum dein Name werde, so folgt dir doch
nichts ins Grab nach als ein leinen Tuch, um deine Blöße zu decken.
Sohn, halte geistliches Leben in Ehren, das ist gut für dich und ist
verständig. Laß dich durch niemand hiervon abbringen, sondern bleibe hierbei
bis an dein Grab; das trägt dir Glück und Segen. Kümmere dich nicht
darum, wie die Pfaffen leben: du sollst doch Gott in ihnen dienen. Sind
ihre Worte gut, ihre Werke aber falsch, so folge ihren Worten nach, nicht
ihren Werken, oder du bist ein Tor.