§ 156. Der deutsch-englische Vertrag. 255
4. Die Stellung des Kaisers zum Sozialistengesetz, sein entschie- Bismarcks"^«,
denes Vorgehen auf der Bahn der sozialen Fürsorge entsprachen nicht (a"ür^-
den Auffassungen Bismarcks, der vor neuen Schritten die Wirkungen
der Arbeiterversicherungsgesetze länger abwarten wollte. Dies sowie
andere (im Alter, Wesen und in der Sinnesart wurzelnde) uuaus-
gleichbare Meinungsverschiedenheiten führten zur Trennung von
Kaiser und Kanzler. Am 20. März 1890 erhielt letzterer unter
Erhebung zum Herzog von Lauenburg seine Entlassung aus allen
seinen Ämtern. Fortan lebte der „Altreichskanzler", der auch jetzt noch
den Gang der Ereignisse mit prüfender Aufmerksamkeit beobachtete,
auf seinem Schlosse Friedrichsruh im stillen „Sachsenwald" bei
Hamburg, bis zu seinem Ende (30. Juli 1898) der Gegenstand jubelnder a^gui^sk
Huldigungen des deutschen Volkes. In der von ihm selbst bestimmten
Grabschrift stehen die Worte: „ein treuer, deutscher Diener Kaiser
Wilhelms des Eisten". *)
5. Im Jahre des 25 jährigen Reichsjubiläums, 1896, kam nach
langer Vorarbeit ein Werk der Gesetzgebung von höchster nationaler L
Bedeutung zum Abschluß: die Schaffung eines einheitlichen
Rechtes für das ganze Reichsgebiet. Mit seiner Einführung
(1. Januar 1900) erfolgte einer der gewaltigsten Fortschritte in der
Auswirkung des nationalen Einheitsgedankens seit 1871.
Welches Interesse Wilhelm II. den Fragen des geistigen
Lebens, der Wissenschast, der Kunst, dem Schulwesen entgegenbringt,
gehört hauptsächlich der preußischen Geschichte an, kann also hier über-
gangen werden.
II. Außere Aolitik.
§ 156. Der deutsch-englische Vertrag. Das russisch-
srauzösische Bündnis. Ostasiatische Politik. Ausbau der
deutschen Flotte.
1. Obgleich es Wilhelm II. ein ernstes Anliegen war, die guten
Beziehungen zwischen dem Deutschen Reiche und den übrigen Mächten
zu erhalten und zü befestigen (Besuche 1888 in Petersburg, Stockholm,
Kopenhagen und Wien, 1889 in London, Athen, Konstantinopel), so
kam es doch bald zu Trübungen in dem Verhältnis zu Rußland und
zum Wiedererwachen des Mißtrauens gegen die Absichten der deutschen
Politik. Bismarcks Nachfolger, v. Caprivi, hatte angesichts der Ver-
pflichtungen Deutschlands gegenüber seinen Verbündeten Österreich
sozialsten), welche schon 1872 den „Verein für Sozialpolitik" gegründet hatten,
suchten durch Wort und Schrift immer mehr Kenntnisse der sozialen Verhältnisse in
die verschiedensten Kreise des Volkes hineinzutragen. l) Seine Genossen in
den großen Tagen des Kampfes und des Sieges waren ihm im Tode vorausgegangen:
v. Roon t 1879, v. Moltke f 1891.