Die Rückkehr der „Großen Armee". 1812.
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erklommen mit vieler Mühe die Höhe, indem wir die Eisbahn im Gebüsch
umgingen. Die geschäftigen Kosaken hatten bald den Niemen auf der natür-
iichen Brücke überschritten und machten hier die letzte bedeutende Beute. Wir
irrten nunmehr so lange quer durch den Wald im tiefsten Schnee fort, bis
wir die Straße wieder erreichten. Gegen Abend zwang uns die Not, die-
selbe wieder zu verlassen, um ein Dorf aufzusuchen, was wir glücklich fanden.
Die Verfolgung durch die Russen hörte, nachdem wir den preußischen Boden
betreten hatten, nach und nach aus. Sie hatten Kowno angegriffen, die
letzten wenigen hundert Mann unter Ney geworfen und zerstreut und somit
die letzte Stadt ihres Gebiets zurückerobert, so daß am 14. Dezember kein
bewaffneter Mann der französischen Armee, mit Ausnahme des Macdonaldschen
Korps in Kurland, jenseits des Niemen war. So konnten auch wir unseren
ferneren Weg nach Gumbinnen mit Ruhe und sogar mit einiger Bequemlich-
feit fortsetzen. In einem Dorfe verschafften wir uns einen einspännigen
Schlitten, auf welchem der Sohn des Generals fortgebracht wurde. Einer
Zigeunerbande gleich zogen wir von Dorf zu Dorf durch tiefen Schnee und
erreichten am 16. Schirwind. die erste preußische Stadt. In diesem Orte
hatte ich im Kriege 1807 einige Zeit gestanden und fand einige bekannte
Menschen wieder. Ich begab mich nach dem Rathause und bat um Unter-
fünft, die bereitwilligst gewährt wurde, weil der General als Deutscher und
ich als ehemaliger preußischer Offizier viel Teilnahme erregten. Wir erhielten
in einem der besten Häuser bei der Witwe eines preußischen Offiziers, der
Frau Majorin v. Gerhard, Quartier angewiesen. Diese Dame sah uns
mit großen Augen an. als wir ihr Haus betraten, und als sie hörte, daß
ein General mit seinen Adjutanten, durch kein äußeres Abzeichen erkennbar,
sondern in Schafpelze und Lumpen gehüllt, voller Schmutz, vom Rauch der
Biwaks geschwärzt, mit langen, von Eis starrenden Bärten. mit erfrorenen
Gliedern ihre Gäste sein sollten. Sie wußte nicht, ob sie davonlaufen oder
bleiben sollte; wir waren in unserem Aufzuge nicht minder befangen, uud
so war die Verlegenheit groß, bevor wir uns einigermaßen verständigten
und in das reinliche, wohlgeordnete Haus, in das freundliche Zimmer ein-
zutreten wagten — hatten wir doch seit sieben Monaten keine mit den
Bequemlichkeiten des Lebens versehene menschliche Wohnung erblickt. Endlich
nachdem die ersten beiderseitigen Eindrücke überwunden waren, bot unsere
Wirtin alles auf, um durch Sorgfalt und Aufmerksamfeit unsere Lage soviel
wie möglich zu verbessern, und nahm uns mit wahrer Teilnahme und Herzens-
gute auf.
Es ist nicht möglich, den Eindruck zu schildern, welchen der Ausenthalt
in einer reinlichen menschlichen Wohnung auf uns machte. Das Wiederfinden
von Menschen, die unsere Sprache redeten, ihre Gastfreundschaft, ihre Teil-
nähme, die Befriedigung so mancher lange entbehrten Bedürfnisse und
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