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Die Zoll- und Finanzreform im Jahre 1879.
""lere Gesamtheit in wichtigen Interessen zu schädigen." (Bravo! rechts.
Zischen links.)
In seiner folgenden Rede über die Getreidezölle widerlegte Bismarck
die Behauptung, daß niedrige Getreidepreise in wirtschaftlicher Beziehung
stets als ein Glück anzusehen seien; schon rücke der Augenblick heran, wo
die Landwirtschaft nicht mehr produzieren kann, weil die Preise die Kosten
nicht mehr decken. Gehe aber die Landwirtschaft zugrunde, so stürze auch
der preußische Staat und das Deutsche Reich in den Abgrund. Auch für
den geduldigen Landmann gäbe es eine Grenze, auch er dürfe eine gerechte
Verteilung der Lasten fordern. Ebenso sprach Bismarck über die Not-
wendigkeit von Holzzöllen, und hier wie in den anderen Zollfragen errang
er einen vollständigen Sieg.
Wohl noch nie ist es einem Staatsmann gelungen, in so raschem
Laufe alle Hindernisse zu beseitigen und alle Vorurteile zu bezwingen. Durch
die neue Zollgesetzgebung wurde natürlich auch das finanzielle Verhältnis
des Reiches zu den Einzelstaaten alteriert, es war anzunehmen, daß die
Mehreinnahmen aus den Zöllen und der neuen Tabakssteuer die Bedürfnisse
des Reiches in solchem Maße decken würden, daß keine Matrikularbeiträge
ausgeschrieben werden müßten. So sehr auch Bismarck geneigt war. auf
diesem Wege den bisherigen Zustand zu beseitigen und das Reich der Not-
wendigkeit zu entheben, „bei den Einzelstaaten" betteln zu gehen, so stimmte
er doch, um nicht das ganze Werk vereitelt zu sehen, der sogenannten
Franckensteinfchen Klausel zu, nach der dem Reiche die Einnahmen nur
bis zu einer bestimmten Höhe überlassen bleiben, während die Überschüsse
durch Reichsgesetz den Bundesstaaten überwiesen werden sollen. Nur mit
schwerem Herzen hat sich Bismarck für diesen Ausweg entschieden; sein
Entschluß führte alsbald zu dem Rücktritt der beiden Minister Hobrecht
nnd Friedenthal, denen sich auch Dr. Falk anschloß, wenn ihn auch andere
Gründe zu seinem Abgange bestimmten ... Mit 217 gegen 107 Stimmen
wurde Bismarcks Reform genehmigt, fein Erfolg war ungeheuer, in einem
kurzen Jahre war das herrschende Wirtschaftssystem gestürzt und ein neues
System ersonnen und zur Annahme gebracht.
Literatur über die soziale Frage und die deutsche Sozialpolitik.
Biederlack, Die soziale Frage. 5. Aufl. Innsbruck 1902. — Weiß, Soziale
Frage und soziale Ordnung. Freiburg i. Br. 1892. — Cathrein, Der Sozialismus.
7. Aufl. Freiburg t. Br. 1898. — Sombart, Sozialismus und soziale Bewegung im
19. Jahrhundert. Jena 1897. — Mehring, Die deutsche Sozialdemokratie. 3. Aufl.
Bremen 1879. — Schmoller, Über einige Grundfragen des Rechts und der Volks-
Wirtschaft. 1875. — Schäffle, Quintessenz der sozialen Frage. 13. Aufl. Gotha 1891. —
v. Hertling, Aufsätze und Reden sozialpolitischen Inhalts. Freiburg i. Br. 1884. —
Hitze, Die soziale Frage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung. Paderborn 1877. —
Hitze, Kapital und Arbeit und die Reorganisation der Gesellschaft. Paderborn 1881. —