Full text: Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart (Bd. 3)

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Die Zoll- und Finanzreform im Jahre 1879. 
""lere Gesamtheit in wichtigen Interessen zu schädigen." (Bravo! rechts. 
Zischen links.) 
In seiner folgenden Rede über die Getreidezölle widerlegte Bismarck 
die Behauptung, daß niedrige Getreidepreise in wirtschaftlicher Beziehung 
stets als ein Glück anzusehen seien; schon rücke der Augenblick heran, wo 
die Landwirtschaft nicht mehr produzieren kann, weil die Preise die Kosten 
nicht mehr decken. Gehe aber die Landwirtschaft zugrunde, so stürze auch 
der preußische Staat und das Deutsche Reich in den Abgrund. Auch für 
den geduldigen Landmann gäbe es eine Grenze, auch er dürfe eine gerechte 
Verteilung der Lasten fordern. Ebenso sprach Bismarck über die Not- 
wendigkeit von Holzzöllen, und hier wie in den anderen Zollfragen errang 
er einen vollständigen Sieg. 
Wohl noch nie ist es einem Staatsmann gelungen, in so raschem 
Laufe alle Hindernisse zu beseitigen und alle Vorurteile zu bezwingen. Durch 
die neue Zollgesetzgebung wurde natürlich auch das finanzielle Verhältnis 
des Reiches zu den Einzelstaaten alteriert, es war anzunehmen, daß die 
Mehreinnahmen aus den Zöllen und der neuen Tabakssteuer die Bedürfnisse 
des Reiches in solchem Maße decken würden, daß keine Matrikularbeiträge 
ausgeschrieben werden müßten. So sehr auch Bismarck geneigt war. auf 
diesem Wege den bisherigen Zustand zu beseitigen und das Reich der Not- 
wendigkeit zu entheben, „bei den Einzelstaaten" betteln zu gehen, so stimmte 
er doch, um nicht das ganze Werk vereitelt zu sehen, der sogenannten 
Franckensteinfchen Klausel zu, nach der dem Reiche die Einnahmen nur 
bis zu einer bestimmten Höhe überlassen bleiben, während die Überschüsse 
durch Reichsgesetz den Bundesstaaten überwiesen werden sollen. Nur mit 
schwerem Herzen hat sich Bismarck für diesen Ausweg entschieden; sein 
Entschluß führte alsbald zu dem Rücktritt der beiden Minister Hobrecht 
nnd Friedenthal, denen sich auch Dr. Falk anschloß, wenn ihn auch andere 
Gründe zu seinem Abgange bestimmten ... Mit 217 gegen 107 Stimmen 
wurde Bismarcks Reform genehmigt, fein Erfolg war ungeheuer, in einem 
kurzen Jahre war das herrschende Wirtschaftssystem gestürzt und ein neues 
System ersonnen und zur Annahme gebracht. 
Literatur über die soziale Frage und die deutsche Sozialpolitik. 
Biederlack, Die soziale Frage. 5. Aufl. Innsbruck 1902. — Weiß, Soziale 
Frage und soziale Ordnung. Freiburg i. Br. 1892. — Cathrein, Der Sozialismus. 
7. Aufl. Freiburg t. Br. 1898. — Sombart, Sozialismus und soziale Bewegung im 
19. Jahrhundert. Jena 1897. — Mehring, Die deutsche Sozialdemokratie. 3. Aufl. 
Bremen 1879. — Schmoller, Über einige Grundfragen des Rechts und der Volks- 
Wirtschaft. 1875. — Schäffle, Quintessenz der sozialen Frage. 13. Aufl. Gotha 1891. — 
v. Hertling, Aufsätze und Reden sozialpolitischen Inhalts. Freiburg i. Br. 1884. — 
Hitze, Die soziale Frage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung. Paderborn 1877. — 
Hitze, Kapital und Arbeit und die Reorganisation der Gesellschaft. Paderborn 1881. —
	        
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