X. Deutsche Kaisergeschichte. Erstes Kapitel. 93
er sich mit Herzog Burkhardt von Schwaben verständigt hatte,
zog er mit Heeresmacht gegen den widerstrebenden Arnulf von Bay¬
ern, gewann diesen aber ebenfalls durch verständige gütliche Überredung;
auch Lothringen brachte er unter feine Gewalt. Mit ganz freier
Macht waltete er nur in Sachsen und Thüringen, wo er neben
seiner königlichen Stellung die Herzogsgewalt selber mite hatte. Wäh¬
rend des neunjährigen Waffenstillstandes, den er gegen Zahlung
eines Tributs von den Ungarn erlangte, gewöhnte er Sachsen und
Thüringer an städtisches Leben und an den Reiterdienst. Er begrün-
bete zum Schutz und zur Zuflucht für die Landbewohner in Zeiten
feindlicher Einfälle feste Plätze, aus denen sich Städte entwickelten
wie Goslar, Merseburg, Quedlinburg und Meißen; er verpflichtete die
Vasallen und die reicheren Freien zum Reiterdienst im Heerbann
und übte sie, dem Anprall der ungarischen Reiterscharen geschlossen zu
widerstehen. Der Reiterdienst gab fortan besondere Ehre und begrün-
dete die Entstehung eines bevorzugten Ritterstandes. Nach solcher
Rüstung eroberte er mitten im Winter die Hauptfeste der slavischen
Hev eller, Brennabor (Brandenburg) an der Havel, und ihr gan-
zes Land, machte auch den Böhmenfürsten lehnspflichtig uud be-
siegte in der Entscheidungsschlacht bei Riade an der Unstrut die
Ungarn, die räuberisch in sein Herzogtum wieder eingedrungen waren,
weil er ihren Gesandten unter Zustimmung seines Heeres mit Hohn
den bisherigen schweren Tribut verweigert hatte. Nachdem er den
Dänen die Grenzlande zwischen Eider und Schlei abgenommen, gedachte
er nach Rom zu ziehen, da ereilte ihn im Kloster Memleben an der
Unstrut der Tod, und sein Leichnam wurde in der Schloßkirche zu
Quedlinburg beigesetzt. Mächtige Körpergestalt, königliche Würde,
kriegerische Tüchtigkeit vereinigten sich in ihm mit Klugheit und ma߬
vollem Wesen. Otto, den ältesten Sohn aus seiner kirchlich anerkann-
ten Ehe und den tüchtigsten, setzte er über seine Brüder uud das Reich
der Franken. Von seiner Zeit fing man an, die Deutschen, deren
Namen er zu Ehren gebracht hatte, zu scheiden von Romanen und
Skandinaviern.
Otto I., der Große (936—973): Herrscherstreben, innere Kämpfe, äußere
Kämpfe gegen Wenden, Dänen und Ungarn.
§ 65. Otto I., der den Beinamen der Große sich erwarb,
faßte sein Königsamt nach dem Vorbilde Karls des Großen und be-
handelte die deutschen Stammesherzöge nicht wie sein Vater fast
als selbständige Fürsten, sondern als absetzbare Reichsbeamte.
Ihnen gegenüber schaffte er sich eine Stütze in der hohen Geist-
lichkeit, indem er diese mit Grafen-Rechten und Gütern ausstattete.
Die Herzogsämter verlieh er au Glieder der königlichen Familie;
zur Aufsicht über die Krongüter und zur Wahrung der königlichen
Gerichtsbarkeit fetzte er Pfalzgrafen, zum Schutz der Grenze gegen