100 Zweiter Abschnitt. Geschichte des Mittelalters.
doch schon vorbereiteter Umschlag ein. Die Interessen der bisher ge-
wältsam niedergehaltenen deutschen Großen, welche nach altgerma-
nischer Selbständigkeit strebten, und die der Päpste, welche nicht
mehr einem Pap st-Kaiser folgen, sondern als Kaiser-Päpste selbst
herrschen wollten, vereinigten sich, uud die Bischöfe, die bisherigen
Stützen der Kaisermacht, wurden, bereits erfüllt von römischem Geiste,
nbhängige Werkzeuge von Rom.
Heinrich IV. (1056—1106): Verderbliche Erziehung desselben, Ausstand der
Sachsen.
§ 69. Heinrich IV. mußte diesen schrecklichen Wechsel erfahren.
Gegen die milde vormundschaftliche Regierung feiner Mutter Agnes
erhob fich eine Verbindung deutscher Fürsten unter Leitung des Erz-
bifchofs Hanno von Köln. Dieser lockte den 12 jährigen arglosen
Kaiserknaben bei einem Feste zu Kaiserswerth auf fein prächtiges
Rheinschiff, entführte ihn gewaltsam seiner Mutter und erlangte durch
Fürstenbeschluß mit der Erziehung des jungen Königs die Reichs-
verweserschaft. Die strenge Erziehung durch den sittlich-ernsten,
aber herrschsüchtigen Kirchenfürsten Hanno erfüllte den verwöhnten und
leidenschaftlichen jungen Heinrich mit Groll gegen denselben. Es ge-
lang dem persönlich liebenswürdigen, höfischem Genußleben. zugeneigten
Erzbifchof Adalbert von Bremen, den jungen König ganz in feine
Gewalt zu bekommen, um durch ihn zu herrschen. Der grelle Über-
gang von der strengsten Beschränkung durch Hanno in die zügel-
loseste Freiheit, welche Adalbert dem jungen Könige gestattete, ver-
darb den Charakter desselben. Adalbert wollte ihn zu einer Zucht-
rute für die weltlichen Fürsten, besonders die seinem ehrgeizigen
Streben hinderlichen sächsischen Herzöge heranbilden. Der junge König
drückte durch die Forderungen für feine beständige Hofhaltung auf
der Harzburg bei Goslar das Sachsenvolk, und sein Haß gegen
die sächsischen Fürsten steigerte sich, als man ihn nötigte, den Verderb-
lichen Ratgeber Adalbert zu opfern. Er empfand es bitter, daß die
Fürsten ihn zwangen, sich mit Bertha von Susa zu vermählen, um
ihn seiner zügellosen Lebensweise zu entziehen; erst nach schweren
Schicksalen gewann Berthas rührende Treue sein stolzes Herz. Von
seinen festen Harzburgen herab ließ er fortgesetzt das trotzige Sachsen-
Volk die Zügel fränkischer Königsherrschaft fühlen; er entsetzte den
sächsischen Grafen von Nord heim seiner bayrischen Herzogswürde
und hielt den jungen Sachsenherzog Magnus gefangen. Da er-
1073.schienen 60 000 bewaffnete S achsen vor Goslar, nötigten Heinrich,
nach der Harzburg zu entweichen und von da heimlich durch die Harz-
Wälder nach Hersfeld zu flüchten. Von allen Fürsten verlassen, mit
der Absetzung bedroht, floh er in die alte wohlbefestigte und gerüstete
Stadt Worms. Er machte die treue Stadt zu seinem Waffen-
platze, verlieh ihr Gnadenbriefe, und die Bürger derselben übten das