Full text: Grundriß der Geschichte

XIV. Zeitalter der Reformation. Erstes Kapitel. 169 
der Cölibat aufgehoben, die Predigt trat in den Mittelpunkt des 
Gottesdienstes, die Feier des hl. Abendmahles wurde von Mittelalter- 
liehen Zuthaten befreit, die Liturgie im Anschluß an die Messe, aus 
der alles Unevangelische verbannt wurde, in deutscher Sprache ge- 
halten. Neben Melanchthon wirkten mit Luther an der Einrichtung 
des neuen Kirchenwesens Johann Bugenhagen, Justus Jonas 
und Nikolaus Amsdorf. Die sächsische Kirchenvisitation ent- 1527—29. 
hüllte eine große Unwissenheit der Gemeinden und ihrer Prediger und 
Lehrer in göttlichen Dingen; daher schrieb Luther für die christliche 
Unterweisung im Hause, wie in Kirche und Schule seinen großen 
und kleinen Katechismus, in denen „die Geheimnisse des Glaubens 1529. 
zur einfachen Volksrede und Kinderlehre" geworden sind. Um die 
Schriftwidrigkeit des Cölibats durch sein eigenes Beispiel zu erweisen, 
verheiratete sich Luther mit Katharina von Bora, einer gewesenen 
Nonne, und gab in seinem Hause das Vorbild eines gemütvollen, 
deutsch-evangelischen Familienlebens. Durch Luther wurde neben 
der deutschen Predigt das deutsche Kirchenlied als Gemeindegesang 
ein Hauptbestandteil des evangelischen Gottesdienstes, und durch die 
Übersetzung der ganzen hl. Schrift, die er mit seinen Freunden 1534. 
vollendete, wurde er Lehrer des Volkes im erhabensten Sinne und 
Schöpfer der Grundlage der neuhochdeutschen Sprachniedersetzung. Da- 
zu kommt seine Förderung der religiösen und wissenschaftlichen Ju- 
genderziehung in öffentlichen Schulen, welche er in seiner Schrift 
„an die Bürgermeister und Ratsherrn aller Städte Deutschlands" be- 
sonders den Stadtobrigkeiten einschärfte. Philipp Melanchthon er- 
warb sich als Förderer des wissenschaftlichen Sprachstudiums den 
Ehrenbeinamen „Praeceptor Grermaniae." Derselbe stand mit 
seiner vielseitigen wissenschaftlichen Bildung dem Feuergeiste und der 
Gemütstiefe Luthers ergänzend zur Seite und wußte oft den raschen 
Eifer desselben durch seinen sanften und milden Sinn zu mäßigen. 
Da die Bischöfe der Reformation feindlich entgegentraten, die Gemein- 
den aber nicht reif waren, sich selbst zu leiten, so sahen sich die Re- 
formatoren zur Aufrechthaltung kirchlicher Ordnung und reiner Lehre 
genötigt, die bischöflichen Rechte an die evangelisch gesinnten 
Landesherren zu übertragen, welche als „Notbischöfe" die lutheri- 
schen Landeskirchen durch Konsistorien und Superintenden- 
ten regierten. Ein ungeheurer Reichtum an Kirchen- und Klostergü- 
tern gelangte durch Säkularisation derselben an Fürsten, Adel und 
Städte; er vermehrte die Macht der Landesfürsten und Landstände — 
selbst in katholischen Ländern —, und nur ein Teil dieses Gütersegens 
wurde zu milden und wissenschaftlichen Zwecken verwendet. Luther und 
seine Freunde beklagten es schwer, daß Psarr- und Schulämter von 
dem großen Erbe zu wenig bedacht wurden. 
Die Reformation verbreitete sich in den 30er und 40er 
Jahren weiter in Würtemberg, im Herzogtums Sachsen, in Pommern,
	        
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