XII. Kulturzustände im Mittelalter. Zweites Kapitel. 133
Sage vom heiligen Gral, jener mit Wunderkräften ausgestatteten ge-
heimnisvollen Schale für das Blut des Erlösers, zu einem Kunstepos
verbunden, in dem geistliche und weltliche Ritterschaft dargestellt wer-
den. Der zierliche Gottfried von Straßburg schildert in „Tristan
und Jsolt" den höfischen Lebensgenuß, Hartmann von der Aue
im „Jwein" die Vereinigung von Heldentum und Minne, im „armen
Heinrich" den Lohn der opferfreudigen Hingabe eines schönen Mägd-
leins. Die lyrische Dichtung der Nitterpoesie feiert die Lust
des Frühlings, holder Frauen Zucht und Schönheit und reine Minne
im „Minnegesange". Walter von der Vogelweide, der ge-
feiertste Minnesänger, preist zugleich des Vaterlandes Herrlichkeit, beklagt
in scharfen Tönen Deutschlands Zerrissenheit und Not und des Papstes
Ränke. Jmsagenhaften Sängerkriege auf der Wartburg kämpften
Wolfram von Eschenbach und Heinrich von Oferdingen über die Vor-
züge „milder" Fürsten auf Leben und Tod. In dem „Frauendienst"
Ulrichs von Lichten st ein verläßt der Minnegesang seine ideale
sittliche Richtung, und mit Heinrich von Meißen, „Frauenlob",
verliert er sich in überkünstliche Formen, uud es kündigt sich damit
der Übergang der höfischen Kunst in die Reimschmiedekunst des zünftigen
..Meistergesanges" (14. Jahrh.) an. An die Stelle der ritter-
lichen Dichter traten Handwerksmeister, Meistersänger, welche die
Dichtkunst zunftmäßig übten, zuerst in Mainz, dann in andern
größern deutschen Städten. Man kämpfte in der „Singschule" um
Ehrenpreise (Kränze, Davidsgewinner), die Kritiker hießen Merker,
und sie urteilten nach den Regeln der „Tabulatur". Eine fertige
überkünstliche Schablone wurde mit Worten ausgefüllt; im Inhalte
herrschte verständige Lehrhaftigkeit vor; in den öffentlichen Singschulen,
an Festtagen in der Kirche gehalten, wurden die Stoffe der Lieder
aus der Bibel entnommen. Die Kunst war zum Handwerk geworden,
aber sie verklärte doch dem ehrsamen Handwerker die alltägliche Wirk-
lichkeit. Auch die Spielleute, fahrende Musikanten, die aus dem
Quell des Volksliedes schöpften, schlössen sich in Deutschland zu In-
Hungen zusammen unter einem Pfeiferkönig; ebenso entstanden Musi-
kantenbrüderschaften in Frankreich nnd England. In Italien fanden
sich künstlerisch gebildete Sänger, welche die Kunst des Improvisieret
übten.
Byzantinischer, romanischer, gotischer Baustil.
§ 89. Die Form der flachgedeckten römischen Basilika (§ 43)
ubertrug sich auch ans die Kirchenbauten des germanischen Abendlan-
des. Von ihr schritt man in Byzanz zum Kuppelbau fort (So-
phieukirche in Konstantinopel 6. Jahrh.). Eine centrale Hauptkuppel
und Nebenkuppeln erheben sich auf kräftigen Pfeilern; Gewölbe und
Wände strahlen im Glänze bunter Mosaiken auf Goldgrunde. Auch
ns Abendland verbreitete sich dieser byzantinische Baustil (Karls