fullscreen: Bilder aus Europa mit Ausschluss des Deutschen Reiches (Bd. 2)

34 
Bilder aus Ost-Europa. 
auch die Feuchtigkeit lauge an sich, und selbst an Abhängen von 
Hügeln tritt man ins feuchte Gras, wie in einen Sumpf. Fast alle 
Wiesengründe sind mehr oder weniger sumpfig. Daher sind die Acker- 
felder überall von tiefen Gräben durchschnitten, die das Wasser ab- 
ziehen und sammeln. Daher sind die Straßen fast alle erhöht angelegt, 
so daß sie erhöhte Dämme vorstellen. An manchen Orten hat sich der 
feuchte Boden zu eigeutlichen Moor- und Moossümpfen ausgebildet. 
Der Anblick eines großen lioländifchen Sumpfes ist eiu höchst trauriger. 
Auf einer langen und weiten Strecke sieht man nichts, als nnsrucht- 
bares Land, auf dein nur steife Riedgräser, die mit ihren weißen 
Seidenbüscheln im Winde spielen, nnd hohe Binsen und blütenlose 
Moose gedeihen. Nur hier und da stehen kümmerliche Birken und 
krüppelhafte Fichten, zwischen denen niedrige Gesträuche sich kaum über 
den Boden erheben. Alles ist kahle, wilde Einöde, bewohnt von 
Schnepfen und Bekassinen, und belebt von den kreischenden Tönen des 
Kiebitzes und der schnarrenden Wachtel, die sich im nassen Grase birgt. 
Es giebt solche Sümpfe, die über eine Quadratmeile groß sind, in 
Livland mehr als in Kurland, am wenigsten in dem mehr trocknen 
Esthland. Manche Landschaften sind auch mit Seen durchwebt, dereu 
Ufer sich gewöhnlich in sumpfiges Erdreich oder in kahlen Flursand 
verlieren. 
Livland und Kurland haben noch Fichten und Kiefernwälder, 
wie sie in den meisten anderen Ländern Europas gar nicht mehr zn 
finden sind. Hier und da giebt es sogar noch Urwälder, die so dicht 
und wild sind, daß sie noch kein menschlicher Fuß betrat. Manche 
Gutsbesitzer haben so viele grünende Masten in ihren Wäldern stecken, 
,daß sie die ganze englische Flotte damit versehen könnten. Trotz der 
großen Waldungen, der Sümpfe, Seen, Moorgründe und völlig öden 
Sandstriche ist doch das Land im ganzen nicht unfruchtbar. Viel- 
mehr scheint es namentlich dem Roggen, der Gerste, dem Flachse vor- 
zugsweise zuzusagen, die nirgends in der Welt fröhlicher und voll- 
kommener gedeihen als hier. Die Fruchtbarkeit nimmt jedoch vom 
Süden uach Norden zu ab. In dem südlichen Litauen, dem 
Weizenlande, findet sich die größte Fruchtbarkeit. Die Kurländer sehen 
schon neidisch auf die Litauer, werden aber ihrerseits wieder von den 
nördlichen Livländern ihres üppigen Bodens wegen beneidet. Die 
Esthländer sind im ganzen genommen dürftiger als alle begabt. 
Seit langen Jahrhunderten gehen daher die Getreidefrüchte dieser Ost- 
seeprovinzen iu alle Welt. Schweden, Holland, England und andere 
Länder wurden mit dem Brote dieser merkwürdigen Kornkammern seit 
undenklichen Zeiten gefüttert. Die- liv- und kurländischen Saaten 
werden auf allen Märkten als vorzüglich gelobt und wegen mancher 
trefflicher Eigenschaften stehen sie in London, Amsterdam und Kopen- 
Hägen in höherem Preise, als das Korn aller anderen Länder. Die 
erfreulichen Gaben der Ceres wanderten von hier seit undenklichen 
Zeiten auf allbekannten Wegen zu den Seestädten am Meeresstrande, 
bauten dort vieler reicher Kausleute Häuser, schufen die Bürgerschaften
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.