Full text: Vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gegenwart (Teil 3)

§170. 
Der Ausbau des Reiches unter Kaiser Wilhelm I. 
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Partei des preußischen Abgeordnetenhauses erklärte der Kaiser 1871, sich 
nicht in italienische Angelegenheiten mischen zu wollen. Die Zentrumspartei 
wurde nun unter der Führung des kampfeifrigen Abgeordneten Windt- 
horst, der früher Minister in Hannover gewesen war, eine Gegnerin der 
Regierung. Eine zweite Ursache des Zwistes ging aus dem Unfehlbarkeits- 
dogma hervor. ^ Eine kleine Minderheit deutscher Katholiken erkannte das 
neue Dogma nicht an, bildete altkatholische Gemeinden und wühlte sich 
in dem Breslauer Professor Reinkens einen eigenen Bischof. Doch hat 
sich ihre Hoffnung, daß sich die altkatholische Bewegung weiter ausbreiten 
würde, nicht erfüllt. Die römische Kirche sprach gegen altkatholisch gesinnte 
Religionslehrer Bann und Absetzung aus; der Preußische Staat dagegen ge- 
währte ihnen und den altkatholischen Gemeinden den erbetenen Schutz. Damit 
brach auf der ganzen Linie der „KnltuMmp.f" *) aus, in dem es sich um die Fest- 
setzung der Grenze zwischen der Staatsgewalt und der Gewalt der römischen 
Kirche handelte. Der Kaiser bewahrte auch in diesem Kampfe seine ruhige 
Festigkeit; die deutschen Fürsten standen auf seiner Seite; Bismarck äußerte 
im Reichstage: „Roch Kanossa gehen wir nicht", und der liberale Kultus¬ 
minister Falk vertrat denselben Standpunkt. Der König hob die katho¬ 
lische Abteilung des Kultusministeriums auf, die in den östlichen 
Provinzen das Polentum gegen das Deutschtum unterstützt hatte. Ein 
Schulauffichtsgesetz entzog allen Geistlichen, auch den evangelischen, die 
Aufsicht über die Volksschulen. Ein von Bayern beantragtes Reichsgesetz 
gegen den Mißbrauch der Kanzel bedrohte die Agitation der ultramon- 
tanen Geistlichkeit mit Gefängnis. 1872 mußten die Jesuiten und ver- 1872. 
wandte Orden das Reich verlassen (vgl. § 114, 2). Die preußischen Mai¬ 
gesetze von 1873 über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen und 1873. 
über die kirchliche Disziplinargewalt berührten ^as kirchliche Leben unmittel- 
bar, erregten daher den heftigsten Widerstand und wurden vom Papst für 
nichtig erklärt. Eine weitere Folge des Kampfes war das 1875 vom Reichs¬ 
lage angenommene Zivileheg e je j3- Ein Sperrgesetz („Brotkorbgesetz") 1875. 
entzog den Geistlichen für die Zeit ihrer Widersetzftd.)fetftfre~Etritüitfte aus 
Staatsmitteln. Aber alle Strafen, die gegen sie angewandt wurden, blieben 
wirkungslos; die Schärfe schuf nur „Märtyrer". Viele Gemeinden ent- 
behrten der Seelsorger, weil ihre Pfarrer im Gefängnis saßen. Erst nach- 
dem der mildere und kluge Leo XIII. den päpstlichen Stuhl bestiegen 
hatte, traten allmählich wieder friedliche Zustände ein. Bismarck erhielt 
1880 vom Landtage Vollmacht zur Ordnung der kirchlichen Angelegen- 1880. 
heilen und stellte die abgebrochenen diplomatischen Beziehungen zum Vatikan 
wieder her. Der Papst sorgte für Besetzung der erledigten Bistümer nach 
den Wünschen der Regierung, und diese hob die meisten Kampfgesetze auf. 
*) Ein von Virchow in einem Wahlprogramm der Fortschrittspartei geprägter 
Ausdruck, womit er den tieferen Sinn des Kampfes bezeichnen wollte. 
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