§170.
Der Ausbau des Reiches unter Kaiser Wilhelm!.
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mußten. Kiel wurde Hauptkriegshafen und die dortige neue Marine-
Akademie eine Hochschule für Seeoffiziere.
3. Die ersten Kolonien. Solange es kein Deutsches Reich gab, war
auch keine überseeische Kolonialtätigkeit in größerem Stile möglich gewesen.
Die vereinzelten Versuche des 16. und 17. Jahrhunderts waren erfolglos
geblieben. Die deutsche Auswanderung aber haike^MmenÄich im 19. Jahr-
hundert bestündig zugenommen. Dadurch gingen wertvolle Kräfte dem
Volke verloren und stellten sich in fremden Dienst. Ausgedehnte
Gebiete in NordamerM, Südafrika und Australien, durch die Ver-
bessernng der Verkehrsmittel zuganglicher gemacht, luden zur Besiedlung
förmlich ein. Da war es natürlich, daß im Deutschen Reiche das
Verlangen erwachte, den Auswanderern die Möglichkeit zu bieten, auf
deutschem Boden und in staatlichem Zusammenhange mit dem Mutter-
lande zu bleiben. Auch die wachsende Bedeutung des deutschen Außen-
Handels wies auf die Notwendigkeit hin, eigene Plätze jenseits des
Meeres zu erwerben. Man machte sich klar, daß für Deutschland leicht
schwere Nachteile daraus erwachsen könnten, wenn es in der Ausfuhr von
Jndustrievrodukten und der Einfuhr von Rohstoffen völlig auf fremde
Märkte angewiesen blixb. Und es war die höchste Zeit, wenn unser Volk
sich noch einen „Platz an der Sonne" sichern wollte; denn schon waren
fast alle bewohnbaren und fruchtbaren Gebiete der heißen Zone unter die
Kulturvölker aufgeteilt.
Der Leiter der deutschen Politik erwog die Folgen, die das Betreten
der neuen Bahn für Deutschlands Stellung und sein Verhältnis zu anderen
Völkern haben würde. Nur zögernd, und als er sah, daß er im Volke
genügenden Rückhalt hatte, tat er die ersten Schritte. Auf die Bitte des
Bremer Kaufmanns Lüderitz .stellte er das Gebiet, das dieser an der
nach ihm genannten Bucht von den Eingebornen käuflich erworben hatte,
1884 unter den Schutz des Reiches. In demselben Jahre hißte der Afrika- 1884.
reisendeAack)tigal die deutsche Flagge in Togo und Kamerun, und ein
anderer, Aarl Peters, machte mit der Besitzergreifung Ostafrikas den
Anfang. Etwas später wurden Kaiser-Wilhel1?i^an^1)e^B1^mäM-
Archipel und die M arsch all-Jnfvl-n---O^fetz^ überall ivaren schon deutsche
Faktoreien entstanden, als die Besitzergreifung stattfand.
4. Innere Kolonisation. Während die Blicke über den Ozean schweiften,
harrte eine wichtige Kolonisationsaufgabe im eigenen Lande der Lösung.
In keinem Staate sind von jeher fremde Volksteile so schonend und wohl-
wollend behandelt worden wie in Preußen. So hatten es die Polen in
Posen, und Westpreußen durch die Fürsorge der Regierung zu geordneten
Verhältnissen, zu Wohlstand und Bildung gebracht und eine größere Wider-
standskraft gewonnen als ihre Stammesgenossen in Rußland und Oster-
reich. Dadnrch steigerte sich ihr Nationalbewußtsein, und es äußerte