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Die Neuzeit.
Der David von Donatello am Campanile zu Florenz, genannt „il Zuccone", ist
dargestellt, daß fast das Gerippe des Kopfes zum Vorschein tritt, so daß die Haut
vom Kopfe abgezogen zu sein scheint. Den gleichen anatomischen Realismus zeigt das
Pferd des Reiterstandbildes des Colleone in Venedig. Hier kann man die gesamte
Muskulatur des Pferdes erkennen.
Die berühmtesten Maler der Frührenaissance sind Botticelli und
Ghirlandajo.
Die Madonnen des Botticelli sind hagere, bleichsüchtige Mädchen. Botticelli
ist es auch gewesen, der als erster antike Themata in seinen berühmten Bildern „Prima
vera" und „Geburt der Venus" erfolgreich in die Malerei eingeführt hat. Ghirlandajo
hat auf seinen Fresken in S. Maria Novella in Florenz als Heilige und Madonnen
florontinische Damen porträtiert.
Am deutlichsten tritt in der Baukunst der Frühreuaissance der ganze
Charakter der Renaissance überhaupt zutage. Ihr Wesen ist Harmonie
und Einteilung. Die Außenwände der Front werden geometrisch eingeteilt.
Eine italienische Renaissancekirche ist nicht hoch im Verhältnis zu dem
großen Raum, den sie in Breite und Länge einnimmt. Der italienische
Kirchenstil zeigt schon in der Frührenaissance die Kirche als einen Palast¬
bau mit der Kuppel. (Die Gotik ist in Italien nie heimisch geworden.)
Auch die Profanpaläste, wie der Palazzo Pitti und der Palazzo Riccardi
in Florenz, zeigen im Verhältnis zu ihrer Länge und Breite eine nicht zu
große Höhe. Das Wesentliche jedes Palastes in dieser Zeit ist außer
der Harmonie der von Säulen umgebene Hofraum, bei dem sich alle
charakteristischen Züge der Renaissance finden.
Die Hochrenaissance geht vom Realismus zum Erhabenen und
Majestätischen Über. Als Beispiel für die Baukunst ist hier die im 16.
und Anfang des 17. Jahrhunderts erbaute Peterskirche in Rom zu
nennen, die der großartigste Kuppelbau der Erde ist und an Raumaus¬
dehnung alle anderen Kirchen übertrifft. Von dieser Großartigkeit sind auch
alle Ornamentteile des Riesenbaues getragen, während bei der Frührenais-
sance die Ornamentik oft in einen Zierstil übergeht. Den Zug des Majesta-
tischen hat in den Bau der Peterskiche Michelangelo, der „Meister dreier
Künste", hineingebracht.
Der Begründer der Hochrenaissance in der Malerei ist Leonardo
da Vinci (um 1500). Seine Gemälde, unter denen das „Abendmahl"
im Kloster S. Maria belle Grazie in Mailand das bekannteste ist, zeigen
Einheit der Handlung und Symmetrie der Anordnung. Er ist auch
der Schöpfer des Helldunkels (die Umrisse verschwimmen im Zwielicht,
während andere Teile des Gemäldes hell beleuchtet erscheinen). — Raffael
hat alle die Errungenschaften, die die Kunst bis dahin gefunden hatte, zu-
sammengefaßt und gleichsam selbstschöpferisch verwertet. Als einen eigent¬
lichen Pfadfinder kann man ihn nicht bezeichnen. Auch bei ihm tritt die
Neigung zum Großartigen und Erhabenen hervor. In seinen Porträts er-
kennt man eine weitere Eigenschaft der Hochrenaissancekunst, die „absolute
Einfachheit", die durch machtvolle Darstellung des Gegenstandes allem