192
Die Neuzeit.
4. Der Nordische Krieg, 1700—1721. a) Karls XII. Siegeslauf.
1697 wurde der fünfzehnjährige Karl XII. König von Schweden und sofort
mündig erklärt. Da er keine außergewöhnlichen Eigenschaften zeigte, ab-
gesehen von einem festen Eigenwillen und starker Neigung zu körperlichen
Übungen, schien den Nachbarmächten die Zeit günstig, das Gleichgewicht
im nördlichen Europa herzustellen. Zar Peter, der seinem Volke den Anteil
an der Ostseeküste verschaffen wollte, den es brauchte, wenn das begonnene
1700. Kulturwerk Fortschritte machen sollte, verbündete sich 1700 mit August II.
von Sachsen und Polen und Friedrich IV. von Dänemark zu einem
Eroberungskriege gegen die nordische Großmacht. Aber ihr junger König
überraschte die Welt durch sein Feldherrntalent und seine Leistungsfähig-
feit. Nach einer kühnen Landung auf Seeland bedrohte er Kopenhagen
und bewog dadurch den Dänenkönig zum Frieden. Dann eilte er gegen
die Russen, die in die Ostseeprovinzen eingefallen waren. Das kleine
schwedische Heer, in dem die Traditionen Gustav Adolfs fortlebten, das in
seinem Führer ein Muster der Einfachheit und Opferwilligkeit bewunderte
und ihm unbedingt vertraute, schlug die feindliche Übermacht (8000 gegen
40000) gegen Ende des Jahres bei Narwa in die Flucht. Im nächsten
Jahre wandte er sich gegen Polen, obgleich August II. bereit war, in
Unterhandlungen einzutreten, und der polnische Reichstag erklärte, der Krieg
des Kurfürsten von Sachsen sei nicht seine Sache. Die Schweden eroberten
1704. nach und nach das ganze Land, und 1704 ließ Karl in Warschau seinen
Gegner absetzen und den polnischen Edelmann Stanislaus Leszczynski
zum König wählen. Der Entthronte sloh nach Sachsen; Karl folgte ihm
1706. über Schlesien*) und zwang ihn 1706 im Frieden zu Altranstädt, auf
Polen zu verzichten.
b) Die Wendung. Über ein Jahr blieb Karl XII. noch in Sachsen
und zog dann mit seinem durch Werbungen sehr verstärkten, aber zum
Teil aus minderwertigen Truppen bestehenden Heere durch Polen nach
Rußland. Unterdessen hatte der Zar einen Teil der schwedischen Ostsee-
1703. länder in Besitz genommen und 1703 die neue Hauptstadt St. Peters-
bürg gegründet. Es war sein Glück, daß der Schwedenkönig nicht diese
Gegend zum Kriegsschauplatz wählte, sondern auf Moskau losmarschierte.
Statt sich aber mit einem aus Livland heranrückenden schwedischen Heere
zu vereinigen, ließ sich Karl durch den Kosakenhetman (d. i. Hauptmann)
Mazeppa zu einem Zuge durch die Ukraine verleiten, in der Hoffnung, die
Kosaken würden sich ihm anschließen. Die Hoffnung schlug fehl, das Heer
erlitt in dem harten Winter 1708/09 durch Kälte und Mangel große Verluste
1709. und 1709 bei Poltäwa von den Russen eine entscheidende Niederlage.
St. Petersburg wurde auf niedrigen, feuchten Inseln an der Newamündung
gegründet; warum an dieser Stelle? Nach wem hat die Stadt ihren Namen?
*) Auf die Bitte der dortigen Protestanten bewog er den Kaiser Joseph I-, ihnen
volle Glaubensfreiheit zu gewähren.