Full text: Von der Zeit Karls des Großen bis zum Tode Friedrichs des Großen (Teil 2B)

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Die Neuzeit. 
vernunftgemäßen Lebensformen und verlangte in der Religion Duldung, 
im staatlichen Leben Anteil des Volkes an der Regierung, im sozialen An- 
erkennung der natürlichen Rechte des Menschen und Milderung der 
Standesunters chiede. 
b) Die französische Aufklärung. Die Aufklärungsbewegung in 
Frankreich hängt zusammen mit der im Zeitalter Ludwigs XIV. eingetretenen 
und unter Ludwig XV. fortwuchernden Fäulnis der öffentlichen Zustände. 
Der Materialismus gedieh, weil aus dem Leben Gehalt und Würde ver- 
schwunden war. Der beredteste Sprecher des Zeitgeistes war der witzige, 
spottsüchtige Voltaire, ein erbitterter Feind der katholischen Kirche, der 
in England mit den Schriften Lockes und der Deisten bekannt geworden 
war. In seinen Dichtungen machte er seinem boshaften Mutwillen gegen 
Kirche und Sitte, Staat und Rechtspflege Luft. Doch hielt er an den 
Grundlagen der Religion fest. Montesquieu geißelte in den „Lettres 
persanes" die gesellschaftlichen Zustände und griff im „Esprit des lois" 
die unumschränkte Monarchie als Ursache der Entartung an. Die kon- 
stitutionelle Verfassung Englands erfüllte ihn mit Bewunderung. I. I. 
Rousseau fah die Zivilisation als Ursache aller Mißstände an und trat 
unentwegt für einen erträumten Naturzustand ein. (Er wurde der Be- 
gründer der modernen Naturschwärmerei.) Im „Contrat social" führt er 
die Meinung aus, jede Staatsform beruhe auf einem stillschweigenden 
Vertrage zwischen Regierenden und Regierten. Dieser Vertrag kann nach 
Rousseaus Lehre vom Volke gelöst werden; an Stelle der Souveränität 
der Fürsten tritt die des Volkes. Er hält die demokratische Republik für 
die beste Verfassung. Der Roman „Emile" sucht eine naturgemäße Er¬ 
ziehung und einen Unterricht, der von der Anschauung und dem Erlebnis 
zum Begriff übergeht, zu begründen. Die warmen Worte Rousseaus fanden 
lebhaften Widerhall und trugen viel zur Hebung der Häuslichkeit, Ein- 
fachheit und Sittlichkeit in den mittleren Ständen bei. 
Rücksichtsloser gingen die Enzyklopädisten vor, die Verfasser und 
Anhänger der von Diderot geleiteten „Encyclopedie", welche die gesamte 
Bildung der Zeit im Lichte des Materialismus darstellt. Diderots Zeit- 
genösse La Mettrie sprach in leichtfertigem Ton mit der Leugnung alles 
Geistigen das letzte Wort des Materialismus aus. Sammelpunkte dieses 
„Ausklärichts" waren Privatgesellschaften, „Bureaux d'esprit", in denen 
der Geist der Auflehnung gegen die überlieferten Anschauungen und Ein- 
richtungen von zahlreichen Literaten großgezogen wurde. 
c) Die deutsche Aufklärung. Auch in Deutschland bildete sich 
eine volkstümliche Philosophie aus, eine Fortsetzung der idealistischen, wie 
die französische eine Weiterbildung der realistischen war. Ihre Verbreiter 
machten in der Form von Betrachtungen, Briefen und Selbstgesprächen 
die Leibniz-Wolsschen Gedanken oder eine Auswahl aus verschiedenen 
Systemen den Lesern mundgerecht. Gegen die kirchlichen Dogmen verhielten
	        
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