Rückblick.
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(L Allgemeiner Charakter der Kultur. Die Bevölkerung der Pflanz-
städte des Ostens bestand ans verschiedenen griechischen und barbarischen
Elementen, und der lebhafte Verkehr, die fortdauernde Auswanderung aus
Griechenland und die Sklaverei beförderten die Vermischung. Damit schwanden
die örtlichen Besonderheiten, und die Gebildeten sahen nicht mehr das Weich-
bild ihrer Stadt, sondern die hellenische Welt als ihre Heimat an. Es
schwanden die Dialekte, nach und nach sogar im Mutterlands, die attische
Schriftsprache verlor ihre Herrschaft, und es bildete sich eine gemeingriechische
Sprache (koine). Auch die Barbaren nahmen willig diese Sprache an und
waren stolz darauf, sich Hellenen nennen zu können.
§ 27. Rückblick.
Unter den vielen griechischen Kleinstaaten ragt Athen bis zu seinem
Sturze als erste politische Macht und Hauptvertreteriu griechischen Wesens
hervor. Das Streben nach Freiheit (Unabhängigkeit nach außen und Anteil
der einzelnen an der Regierung), welches das griechische Staatsleben durch-
zieht, kommt in Athen am schärfsten zum Ausdruck. Aber hier wurde sie
zur Zügellosigkeit und ging infolge davon verloren. Es begannen die Kriege
der griechischen Staaten untereinander, in denen sie sich gegenseitig die Freiheit
zu nehmen suchten. Dadurch wurden sie alle die Beute des mazedonischen
Eroberers. Dabei besaß nur der geringere Teil der Bevölkerung persönliche
Freiheit; denn die christliche Lehre, daß alle Menschen Kinder eines Vaters
sind, war den Alten fremd.
Mit dem Verfall der Staaten ging die Entartung der Sitten Hand
in Hand. Denn die vielen inneren Kriege nährten nur unedle Leiden-
schaften, und der Glaube an die Götter wurde durch die zunehmende all-
gemeine Bildung erschüttert.
Das selbständige Denken, das die Griechen auszeichnete, und aus dem
der Freiheitssinn entsprang, trug um so schönere Früchte auf den Gebieten
der Wissenschaft und im Verein mit der reichen Phantasie auf denen der
Kunst. Indem sie die morgenländischen Einflüsse verarbeiteten und eine
hohe eigene Kultur entwickelten, sind sie die Lehrmeister der Welt geworden.
Die dichterische Gestaltungskraft brachte schon früh einen Homer hervor und
nahm erst ab nach dem Peloponnesischen Kriege. Die prosaische Darstellung
gelangte bis zur Zeit Alexanders des Großen zu immer größerer Vollendung.
Das Nachdenken über die Ursachen und den Zusammenhang der Dinge führte
zu scharfsinnigen philosophischen Lehrgebäuden. Die sogenannten exakten
Wissenschaften und die Technik feierten erst in der Zeit nach Alexander ihre
höchsten Triumphe. In der bildenden Kunst, die vom 5. bis ins 2. Jahr¬
hundert v. Chr. ihre schönsten Werke hervorbrachte, werden die Griechen unüber-
troffene Meister bleiben.