Full text: Übersichtliche Darstellung der deutschen Geschichte bis 1648 (Teil 1)

126 Vierte Periode. 1517-1648. Reformation und Gegenreformation. 
den deutschen Rittern und Fürsten hatte er manchen gewonnen. Sein 
Kurfürst sagte: „Wohl hat Dr. Martinus geredet vor dem Herrn Kaiser 
und allen Fürsten und Ständen des Reiches." Landgraf Philipp von 
Hessen besuchte ihn und sprach: „Habt Ihr recht, Herr Doktor, so 
helfe Euch Gott!" und Herzog Erich von Braunschweig sandte ihm zur 
Erquickung eine Kanne Einbecker Bier. Der Kaiser hielt ihm das freie 
Geleit. Er wollte „nicht erröten, wie einst Sigismund". 
s. Tukhxrs Verurteilung. Von einem Reichsherold geleitet, verließ 
Luther Worms. Nachdem aber die ihm wohlgesinnten Fürsten den 
Reichstag verlassen hatten, wurde das Wormser Edikt erlassen, durch 
das Luther geächtet und die Verbrennung seiner Schriften anbefohlen 
wurde. 
4. Wie Luther auf der Wartburg Sicherheit findet. Luther hatte 
indes seine Verwandten in Möhra besucht und war in der Nähe von 
Altenstein im Thüringer Walde (ö. von Salzungen) von Reisigen seines 
Kurfürsten, der ihn vor den Folgen der Achtung bewahren wollte, 
scheinbar überfallen und heimlich auf die Wartburg gebracht worden. 
Hier lebte er unter dem Namen „Junker Jörg" fast ein ganzes Jahr. 
Anfangs wußten selbst seine Freunde nicht darum; fast allgemein glaubte 
man, er sei der Acht zum Opfer gefallen. In seinem „Patmos"') be- 
gann er die Übersetzung der Bibel, wobei er nicht wie die Übersetzer 
vor ihm die kirchlich anerkannte lateinische Übersetzung (Vulgata), sondern 
den Urtext) zugrunde legte. Er bediente sich der meißnischen Mund- 
art, wie sie, mit zahlreichen Ausdrücken anderer versetzt, von der kur- 
sächsischen Kanzlei bei der Abfassung ihrer Schriftstücke angewandt wurde, 
und nahm überall auf die Sprache des gewöhnlichen Mannes Rücksicht, 
um recht verständlich zu werden. Da nun diese Bibelübersetzung in 
ganz Deutschland Verbreitung fand, wurde ihre Sprache allmählich die 
allgemeine deutsche Schriftsprache — auch Luthers Gegner 
studierten Luthers Schriften — und Luther also der Schöpfer des 
Neuhochdeutschen. Das erste Stück, das er übersetzte, war das Neue 
Testament. Außerdem ließ er von der Wartburg noch manche andere 
Schriften ausgehen, die davon Zeugnis ablegten, wie er die unfreiwillige 
Muße zur Förderung seines Werkes benutzte. Nicht wenig trugen dazu 
auch seine Lieder bei, die bald auf allen Gassen gesungen wurden. Das 
erste Gesangbuch erschien 1524. 
§ 20. Die Auswüchse 6er Deformation. 
1. Der Bildersturm. Schon während der Abwesenheit Luthers 
war in Wittenberg die religiöse Bewegung in ungeordnete Bahnen 
1) Die Insel Patmos gilt als Verbannungsort des Verfassers der Offenbarung. 
2) Das Neue Testament war ursprünglich in griechischer Sprache, das Alte 
Testament m hebräischer Sprache verfaßt.
	        
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